Die Sonnenposition (German Edition)
doch ein paar abgerissene Sätze von sich gab, war in der Hauptsache von ihrer Jugend die Rede. Nachkriegszeit. Man hatte nichts. Mäntel aus Militärdecken genäht, Kostüme aus geänderten Uniformteilen, Kleider aus Fallschirmseide. Die Materie noch einmal umgeschichtet, die Materie den Schlachtfeldern wieder entrissen. Was für den Krieg abgezweigt worden war und der Zivilbevölkerung fehlte, kehrte jetzt zurück, wurde dem Zivilisierungsprozeß erneut unterworfen, Scheinkleidung. Wie man Rezepte tauschte für Ersatznahrung, für Eichelkaffee, für Brennesselsuppe, Kartoffelkuchen, so kursierten Ideen für Ersatzbekleidung. Pseudohüte: eine Blechbüchse, mit Tuch und Haar kaschiert. Eine durchgerostete Schüssel mit Zeitungspapier überzogen, mit Wandfarbe bemalt, aus Papier eine Rose geformt. Flüssigstrümpfe: Als die ersten Perlonstrümpfe aufkamen, die sich die meisten Frauen nicht leisten konnten, entwickelte jemand die clevere Geschäftsidee einer Farbe zum Auftragen auf die Haut. Bräunlicher Anstrich für die Beine, der Perlon imitierte. Mit einer Verrenkung nach hinten zeichnete man sich die Naht, selten gelang sie gerade.
Dennoch galten Flüssigstrümpfe, so karnevalesk sie anmuteten, als glückverheißender Gegenstand, mit dem man sich Würde wiedergewann. Auch der Flüssigstrumpf war für Monika Kramme unerschwinglich gewesen. Sie durfte nicht tanzen gehen, man hatte ja nichts, hatte andere Sorgen.
Seither vierzig Jahre verstrichen. Unauffällige Jahre, Jahre,in denen sie nirgendwo Anstoß erregte. Diese Jahre, ausgleichend, milde und ereignislos, besaßen die Funktion eines unbefriedigenden Zwischenzustands. Es gab Vorher. Und jetzt gab es Nachher.
Demiurgenwahn
Es begann damit, daß er berühmte Bauwerke aus abgebrannten Streichhölzern nachkonstruierte. Er baute die Paulskirche, den Fernsehturm am Alexanderplatz, das Rote Rathaus, den Louvre, den Vatikan nach, und seine Frau war nicht unzufrieden damit, daß er einem Hobby nachging, denn ein anspruchsvolles Hobby hielt ihn davon ab, anderen Lastern zu frönen, so wie es ihr die Freundinnen klagten, deren Ehemänner fremdgingen, dem Suff verfielen, der Spielsucht oder der Völlerei. Beim Modellbau ist das wichtigste die Maßstabstreue. Er erfordert außerdem Sorgfalt, Geduld und Hingabe, und er bringt es mit sich, daß der Modellbauer ein gewisses Interesse an historischen, kunstgeschichtlichen und architektonischen Fragestellungen entwickelt, welches ihm oft nicht in die Wiege gelegt worden ist.
Friedhelm Gehrken erarbeitete seine Werke im Keller, und die vollendeten Objekte stellte er im Wohnzimmer neben dem Fernseher auf. Er trat einem Verein bei, in dem er lernte, Wasserflächen mit Hilfe von Spiegeln darzustellen, was ihm bei seinem Projekt Versailles zustatten kam, er tauschte sich mit den Mitgliedern über die besten Klebstoffe aus, und er profitierte von den dort praktizierten Methoden der einfachen Verkleinerung. Seine Frau konnte vor ihren Freundinnen damit auftrumpfen, daß man jetzt an Busreisen teilnahm, um die Originale zu sehen.
So hätte ihr Leben ruhig weiterlaufen können, die Rente reichte aus, das Haus war abbezahlt, die Kinder erwachsen. Doch dann starb überraschend seine Frau an Krebs. Friedhelm Gehrken wollte sich nicht aus der Bahn werfen lassen. Er buchte blind eine Bustour, sie führte ins Sauerland. Als er von dem Wochenende zurückkehrte, konnte er sich an die Bauwerke, die besichtigt worden waren, kaum noch erinnern. Fachwerkhäuser. Kleine Burgen und Schlösser. Im Sauerland gab es gar keine bedeutenden Bauten. Beeindruckt hatte ihn die Tropfsteinhöhle, in die die Gruppe geschlossen hineingegangen war, obwohl zunächst mehrere behauptet hatten, sie litten an Klaustrophobie. Friedhelm Gehrken erwarb am Ausgang zwei Postkarten und baute zu Hause die Höhle im Anschnitt nach, sie ähnelte einer Druse, nur eben aus Streichhölzern. In den Boden hatte er einige Spiegelscherben eingelassen, sie ahmten die Höhlenseen zu seiner vollen Zufriedenheit nach. Was fehlte, war der geheimnisvolle Glanz, den die Scheinwerfer auf das nasse Gestein gezaubert hatten. Nüchtern betrachtet, entsprach das sogar den natürlichen Gegebenheiten, denn Tropfstein wird matt und unansehnlich, sobald er an die Luft kommt. Dennoch setzte Gehrken seinen Ehrgeiz darein, Höhlenklima herzustellen. Glimmerpuder zu benutzen war in seinem Verein verpönt, er sah es ein, der Effekt war zu stark, war kitschig. Versuche mit echtem Wasser lösten den
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