Die Sonnenposition (German Edition)
zärtlich-frühreifen Leere erfüllt.
Die Hälfte des Himmels hat sich in Windeseile weiß zugezogen, in der anderen treiben einzelne abgerissene Fetzen, preußische Wolkenfetzen von widerlicher Unentschlossenheit.
Die Leute im Dorf begegnen mir grußlos. Gardinen schwingen hinter angestaubten Seidenorchideen leicht hin und her. Eine Frau überquert die Straße mit einem Topf im Arm, zieht Soßengeruch hinter sich her, einen Hauch von Babypuder.
Ich sehe durch ein aufgerissenes Fenster in die Gaststätte. Frühlingsluft strömt hinein, Kneipendunst schlägt heraus. Ich sehe, wie Bierschaum im Glas hochsteigt. Rautenpullover und Nikotinentzug. Kuhwärme und ein kariertes Tischtuch voller Ketchupflecken. Ich schäme mich ein wenig dafür, daß dies jetzt mein Leben ist.
Ich komme am Haus der Chefin vorbei. Liegengelassenes Laub drängt sich in den Ecken der Eingangsstufen und am Zaun, Fehler beim Rasenmähen im Herbst machen sich jetzt durch kahle Stellen bemerkbar. Dort, wo das Gras nicht gründlich weggeharkt wurde, ist es unter der Schneedecke verfault. Der Restrasen gelb. Noch ist die Zeit der Vergilbung. Noch blüht nichts.
Im Garten von Frau Dr. Z. verbrennt ein Mann im Unterhemd einen Haufen Baumpilze. Sie haften noch an einem Stück Totholz, Pilze wie gut verpacktes, dick in Zeitung geschnürtes Geschirr. Sie wollen kein Feuer fangen, bis der Mann eine Blechbüchse Benzin darüberleert.
Gerne würde ich ein paar Worte mit dem Mann wechseln, auch wenn ich nicht weiß, wer er ist. Frau Dr. Z. ist nicht verheiratet, jedenfalls trägt sie keinen Ring. Ihr Gärtner? Ich drücke mich auffordernd am Zaun herum. Der Mann nimmt keine Notiz von mir.
Ein Stück weit die Hauptstraße entlang, die hier Dorfstraße heißt, folge ich einem Kind, das ein entsetzlich lärmendes Spielzeug an einer Schnur hinter sich herzieht. Das Kind ist damit befaßt, auf dem ungleichmäßigen Grund des Gehwegs nicht zu stolpern. Hinter ihm wackelt eine gelbe Ente mit dem Kopf und hebt bei jeder Umdrehung der Räder unter Gequake die Flügel an. Ich möchte das Kind nicht überholen. Es kommt mir vor, auch wenn das psychologisch falsch ist, als würde ich das Kind dadurch herabsetzen. Ich überhole es trotzdem, weil mir die Ente zu laut ist. Das Kind, ins Gehen versunken, scheint mich nicht zu bemerken.
Schatzkarte des Dorfes: In jeder Himmelsrichtung sind im Moment andere Wolkenformen zu sehen. Die Zimmer vollgestopft mit Porzellanblasen und Terrarienlampen. Korridore ausgelegt mit Fertigfellen, Feldarbeit. An vielen Fenstern ist schwarzrotgold geflaggt. Pelzkappen, Pelzpodeste. In den Gärten künstliche Hügel aus Ziegelschutt und zerbrochenen Untertassen. Weitere Außenanlagen durchsetzt mit unaufgeklärten Zonen, Störfeldern, muffigem Licht aus dem Keller. Vorräume, in denen der Schatten wartet. Schattenvorrat in den Speisekammern. Sammlungen von Tannenspitzen aus aller Herren Länder, Beweise der Reisefreiheit. Jahrmarktsgesichter schweben über Spülschwämmen, im Kleiderschrank lagern Bausätze für Blümchenkittel, Seifenlauge rinnt auf dem Bürgersteig über Löwenzahnglanz.
Über die Treppe zum Kramladen hat jemand Milch gekippt. Die Milch muß gerade erst ausgeschüttet worden sein, sie tropft noch von Stufe zu Stufe. Sauer riechende Milch, in der rötliche Katzenhaare schwimmen. Ich halte mich am rostigen Geländer und balanciere an der Milch vorbei. Im Laden ertönt eine Glocke. Niemand bedient. Im Hinterraum kann ich einenKühlschrank und eine einzelne Kochplatte erkennen. Nochmals öffne und schließe ich schüchtern die Tür, dann hänge ich mich an die Klinke und bimmele anhaltend.
Nein, sagt man mir barsch, Gummilitze gebe es nicht.
Einkochringe ja, normale Haushaltsgummiringe auch. Warum ich nicht die nähme.
Die Geschichte konzentriert sich wie immer in den Dingen, in den holzhaltigen Einwickelpapieren mit ihren Kartoffeldruckmustern, in der Starkstromleitung, die über Putz auf der Wand liegt, in der ärmellosen Strickjacke, die sich die Verkäuferin unterm Kinn zusammenhält.
Nein, bellt sie, Rübenkraut kenne man hier nicht.
Ich senke ergeben den Kopf, kaufe ein Stück Toilettenseife und ein Glas Apfelmus.
15 Mischwesen
Ohne Aufsehen zu erregen betrete ich am Nachmittag den Geräteschuppen und pflücke von den sechs Hochstämmchen, die hier in ihren Kübeln überwintern, die reifen Pomeranzen ab. Der Hausmeister trägt die Pflanzen im Herbst hier hinein und nennt das Gebäude dann Orangerie; sobald es
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