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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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frostfrei bleibt, kommen die Bäume wieder nach draußen, neben die Stufen der Eingangstreppe. Bei Übernahme des Schlosses hat man sie vorgefunden. Sie sind schon alt und weisen eine gewisse Resistenz gegen jedwedes Übel auf, aber im Winter vegetieren sie vor sich hin. Die Früchte erfüllen dann ihre Zierfunktion nicht, fallen zwischen Harken und Hacken und bleiben liegen. Sie schmecken sauer und bitter, niemand legt Wert auf sie. Ich stecke sie in einen Jutebeutel, auch die, die schon auf dem Boden schrumpeln, nehme ich mit.
    Auf dem Weg zu meiner Garage begegne ich Frau Dr. Z. Sie mustert mich, kritisch, wie mir scheint, und ich schlenkere betont unbefangen den prallgefüllten Beutel an meinem Handgelenk. Nicke ihr zu, gehe weiter: mein freier Nachmittag. Frau Dr. Z. nickt ebenfalls, gnädig, wie mir scheint. Wünscht mir einen schönen Abend.
    Ich positioniere den Sack auf dem Rücksitz. Dort ruht schon mein Schlafanzug, liegt ordentlich gefaltet, nur das zur Schlaufe geknotete Gummiband lugt hervor.
    Auf der Fahrt stelle ich mir vor, wie ich meiner Schwester nicht ohne Grazie den Jutesack überreiche.
    Auf der Rückfahrt steht mir noch immer vor Augen, wie der Sack vor der Wohnungstür meiner Schwester auf die Fußmatte plumpst. Ich war mit dem Fahrstuhl in den 10. Stock gefahren, während der Fahrt hatte ich den Sack auf dem Rist meines linken Fußes balanciert, damit er nicht mit dem Boden in Berührung kam, aber auf der Fußmatte, die sozusagen schon zur Familie gehörte, setzte ich ihn ab.
    Meine Schwester bewohnt eine Zweiraumwohnung im Plattenbau. Neuerdings gilt es unter kreativen Personen als schick, sich in einer dieser schmucklosen Normwohnungen der östlichen Stadtteile einzuquartieren und die Schmucklosigkeit als Konzept der eigenen Inneneinrichtung beizubehalten. Mila hatte einigen Aufwand betrieben, um die Wohnung so zu möblieren, wie es von den Architekten gedacht gewesen war, nämlich praktisch, platzsparend und schlicht. Auf dem Trödelmarkt hatte sie leichte Schalensessel und ein stelzbeiniges Sofa aus der volkseigenen Möbelindustrie der DDR erworben, sie besaß keine schweren, bodennahen Schränke, sondern nur Regale und eine fahrbare Kleiderstange, eine schlanke Anrichte auf hohen Füßen, einen grazilen Tisch mit einem höhenverstellbaren Kippstuhl, und das Nonplusultra war ein Bett, das sie morgens an der Wand hochklappte und hinter einer glatten Platte verschwinden ließ, bevor sie mit der U-Bahn in ihr Modeatelier in der Innenstadt fuhr.
    Vom Fenster im Treppenhaus hatte man anfangs, als Mila gerade eingezogen war, noch die Leninfigur auf dem Platz sehen können. Mittlerweile war das Denkmal abgerissen. Draußen rauschte der Verkehr. Bürgerliche Dämmerung: Es war noch gerade hell genug zum Zeitunglesen. Ich las die Aufschrift am Fahrstuhl, Tragkraft 600 kg oder 8 Personen, nicht im Brandfall benutzen. Ich las die Aufschrift des Feuerlöschers, nur im Brandfall benutzen. Kofferraumdeckel knallten zu, die Laternen gingen an, ganz unten schob jemand einenübervollen Einkaufswagen vorbei. Auf den Scheiben der Kaufhalle, auf den Reihen der Drahtwagen lag ein warmer Schein. Als er erloschen war, schien mir die Luft vom sternigen Funkeln zerknickter Bierdosen erfüllt. Ich lief darin ein wenig auf und ab, wie man unter dem Rasensprenger oder durch einen Lamettavorhang läuft, voller Erwartung.
    Nautische Dämmerung: Man erkennt Sterne bis zur 3. Größenklasse.
    Ich schaltete die Treppenhausbeleuchtung ein und sah in der Fensterscheibe nur noch mich.
    Ich wandte mir den Rücken zu und schritt den hallenden Treppenflur ab. Dann kam ich mir entgegen, ich war, das sah ich mir an, enttäuscht. Den Mund spitzte ich ein wenig beleidigt, meine Schultern hingen nach vorn, die ewig an mir kritisierte Haltung, die Haltung unverrichteter Dinge, ergebnisloser Bemühungen. Dazu das schlechtsitzende Jackett. Die roten Haare. Die leichenblasse, leicht teigige Haut: Ich gab, das ließ sich nicht schönreden, eine mitleiderregende, zumindest läppische Figur ab, allerdings irritierte der undurchdringliche Gesichtsausdruck, eine gewisse Sturheit im Voranschreiten, eine durch nichts gerechtfertigte Unangefochtenheit. Man konnte mich ohne weiteres für einen der Hausbewohner, man konnte mich ohne weiteres für einen meiner Patienten halten.
    Nach dem dritten Klingeln hörte ich durch die papierdünne Tür, wie meine Schwester ein Kleidungsstück vom Bügel zerrte. Ich kannte ihre Gewohnheiten, sie zog sich

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