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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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mehrmals am Tag um, ich konnte mir ausrechnen, daß es nicht mehr lange dauern würde; trotzdem war ich schon leicht ungehalten, als sie mir die Tür öffnete, mir einen Kuß gab, als ich meiner Schwester nicht ohne Grazie den Jutesack überreichte.
    Mila entnahm prüfend eine Frucht und legte sie auf der Öffnung ihrer einzigen, schnörkellosen, feingestreiften Blumenvase ab.
    Sie trug ein selbstgeschneidertes Reformkleid, eine Mischung aus Kutte und Kittel, sie kultivierte damit ein mir unverständliches, anachronistisches Freiheitsgefühl. Ein Teil des Freiheitsgefühls beruhte darauf, daß sie für diese Bekleidung kein Geld ausgab.
    Meine Schwester hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alle Kleider aus dem Familienbesitz an sich zu nehmen, die niemand mehr haben wollte. Seit Jahren trug sie die alten Kleider von Tante Sidonia auf. Manches änderte sie sich, wenn es ihr zu formlos erschien. Dort, wo der wogende Busen unserer Tante sack- und beulenartige Oberteile erfordert hatte, nähte sie Biesen ein. Aus einigen Gewändern, die bis übers Knie reichten, schneiderte sie Minikleider, oder sie verlängerte einen Rock mit Volants bis zum Boden. Sie setzte Partien ganz anderer, edlerer Materialien ein, die den in Beige gehaltenen Synthetikstoffen ihre Rentnerhaftigkeit nahmen. Und umgekehrt sorgten, so ihre Theorie, die Tantenkleider für eine Umwertung der Werte und machten pathetische Stoffe überhaupt wieder tragbar; Kleider, die bis dahin aussahen wie Wolldecken oder Tischdecken, nahmen dem Brokat das Fürstliche, dem Samt die Schwere, dem Taft seinen übertriebenen Glanz. In einer Gruppe Gleichaltriger war sie von unauffälliger Auffälligkeit, gekleidet nach der Mode eines verflossenen Jahrhunderts, halb russische Gräfin, halb Trümmerfrau.
    In den Entwürfen für ihre Kollektion zeichneten sich ähnliche Verfahren ab. Mila hatte dafür Preise bekommen. Sie nannte sich Modeschöpferin.
    Ich zog den Schlafanzug unter meinem Arm hervor und drapierte ihn über einem Stuhl. Dann setzte ich mich, die harten Knöpfe im Rücken.
    Auf ihrer Fensterbank standen Gläser mit Brokkoliköpfen, die sie wie einen Schnittblumenstrauß zum Blühen gebrachthatte. Ich versenkte mich andächtig in die kleinen gelben Blüten. Sie spiegelten sich in der dunklen Fensterscheibe und vermischten sich mit den Lichtern der Stadt.
    Meine Schwester legte mir die Hand in den Nacken, zwang mich, mich ein wenig vorzubeugen, und zerrte den Schlafanzug wieder von der Lehne.
    Erst die Arbeit.
    Sie führte mich in ihr Nähzimmer und plazierte mich neben dem Zuschneidetisch.
    Sie zerschnitt das mürbe Gummiband. Zog ein neues ein, ließ es lose hängen, an einer Seite baumelte der Pappträger, und ich mußte in die Schlafanzughose steigen, damit Mila die richtige Länge abmessen konnte. Ihre schmalen, abgekauten Nägel fingerten vor meinem Bauch und berührten mein Unterhemd. Sie hielt die Enden probeweise über Kreuz – Stramm genug? –, und ich schämte mich ein wenig meiner Würstchenhaftigkeit. Sie zupfte Stecknadeln vom Kissen an ihrem Handgelenk und markierte das Maß, sie schnitt das Gummiband ab, und das Ratschen der alten Schere schmerzte.
    Ich schlüpfte aus der schlackernden Haut. Ein Luftzug traf kalt meine Beine. Sie ging mit dem Hosenstoff zur Nähmaschine.
    Ich stand noch einen Moment vor dem Ganzkörperspiegel, umringt von Hutschachteln und Schuhkartons, in denen meine Schwester Stoffreste, Garne und Reißverschlüsse aufbewahrte, sah mir etwas hilflos beim Stehen zu. In meinem Rücken richtete die Schneiderpuppe, geschmückt mit einer Federboa, den blinden Blick auf mich. An die Wand hatte Mila ein Schnittmuster gepinnt, die Karte eines geheimnisvollen Landes, auf der sich rote und schwarze Linien umeinanderschlangen, auf der sich Gestricheltes und Gepunktetes kreuzte. Ich konzentrierte mich auf die morsende kurz-kurz-lang-Linie, wollte ihre Bögen verfolgen, bis das Papier raschelte und einen Ärmelausspuckte, sich das Vorderteil eines Kleides aus der Perforation herauslöste.
    Ich war im Begriff, wieder in meine Hose zu steigen, als sich das rote Haar an meinen Schenkeln aufstellte. Milas Katze stürzte herein, sie war aufgebracht. Ich hatte vorausschauend zwei Stunden zuvor eine Katzenallergietablette eingenommen, die Anwesenheit des Tieres durfte mein Befinden daher keinesfalls beeinträchtigen. Ganz im Gegenteil schien aber mein Besuch die Katze zu stören, sie sprang auf mich zu, bremste dann ab, kam mit steifen Schritten

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