Die Sonnenposition (German Edition)
näher, machte einen Buckel und sträubte ihre Haarpracht, so daß ihr kleiner Körper doppelte Größe erreichte. Sie baute sich vor mir auf und ließ ein dumpfes Knurren hören, lauter, als ich es angemessen fand, zumal die Katze mich seit ihrer Kindheit kannte. Sicher stand es mit unserem Verhältnis nicht zum Besten. Aufgrund meiner Allergie hatte ich das Tier gemieden, während die Katze ihrerseits stets Gefallen daran fand, mir klagend um die Beine zu streichen. Dennoch hatte ich mir heute nichts vorzuwerfen. Ich mutmaßte, daß mein Erscheinungsbild sie provozierte.
Ich stand in Unterhosen, die Katze jedoch ging voll bekleidet. Sie trug ein dunkelblaues Zorro-Cape.
Die Katze war daran gewöhnt, daß sie zu bestimmten Anlässen angezogen wurde. Ihre Vorgängerin hatte ich im Verlauf unserer Kindheit regelmäßig in Puppenkleidern und Karnevalskostümen gesehen. In abgemilderter Form setzte Mila diese Verkleidungsaktionen mit dem Folgetier fort. Sie probierte Stoffe, die sie zu verarbeiten plante, zunächst an der Katze aus. Etwas konsterniert, war diese zunächst immer versucht, den Stoff abzuschütteln, sie kratzte sich ausgiebig, vergaß dann die Sache. Manchmal spielte sie mit einem Flattergewand wie junge Kätzchen mit ihrem Schwanz. Test auf Reißfestigkeit, nannte Mila das, Bewegungsstudie, nannte sie es, sie wollte sehen,wie ein Stoff fiel, wie er anlag, wie er Falten warf, wenn der Körper in Aktion trat.
Jetzt knurrte die Katze, zerrte am Cape, knurrte mich an und versuchte den Umhang abzuzerren, sie schlug Krallen und Zähne hinein, strangulierte sich dabei, ließ es wieder bleiben.
Meine Schwester bügelte meine Schlafanzughose. Ihre Katze wälzte sich auf dem Boden, giftsprühend, Krallen zeigend, Mähne schüttelnd.
Im Grunde hatte ich mich vor diesem Tag gefürchtet. Ich hatte befürchtet, daß meine Schwester sich in einer Aufwallung von Schmerz das Haar ausreißen, sich verzweifelt die Kleider vom Leib fetzen könnte. Aber nur die Katze regte sich auf, sie wandelte wütend in ihrem Erdenkleid und fletschte die Zähne. Ich sei schuld, sagte mir die Katze, ich sei an allem schuld.
Man sagt, daß Tiere die Gefühle ihrer Halter übernehmen können, daß beispielsweise ein Hund, als Waffe verwendet, den Zorn seines Herrchens agiert, oder daß ein Kaninchen, apathisch und abgemagert, den unterdrückten Kummer seines Besitzers in Handlung umsetzt.
Beruhige dich, Rächercat, sagte ich streng zu der Katze, die in die Durchreiche sprang und sich dort auf die Lauer legte.
Mila rieb mit der Küchenreibe hauchdünne Streifen Pomeranzenschale ab. Das fleischlose Fleisch trat weiß unter der äußeren Haut hervor wie eine Polsterfüllung. Mila dekorierte mit den Zesten die Sahnehaube auf unseren Cappuccinos.
Die Katze fauchte, als ich mich an den Klapptisch in der Küche setzte. Sie lag sphingenhaft in der Wand zum Wohnzimmer, ihre vergißmeinnichtblauen Augen registrierten jeden Schluck, den ich nahm. Der Umhang hatte sich gelockert, er fiel ihr seitlich über die Flanke und gab das verhaltene Muskelspiel als Lichtspiel wieder. Der Stoff besaß, soviel konnte auchich erkennen, einen guten Bewegungskoeffizienten, reichen Faltenwurf.
Ich zupfte an der Schleife, nahm der Katze das Cape ab.
Habe ich mich zu wenig um ihn gekümmert?
Du mischst dich zu sehr ein, sagte meine Schwester böse.
Mila schob mir eine Ansichtskarte über den Tisch, Motiv Blumentrost. Wir müßten, verlangte sie, unserer Tante zum Geburtstag gratulieren. Sie habe die Karte besorgt, ich solle den Text verfassen, sie würde unterzeichnen. Ich lehnte es ab zu schreiben und führte meine unleserliche Arzthandschrift ins Feld, erklärte mich aber bereit, ihr den Text zu diktieren.
Bevor ich diktierte, machte ich ihr Vorwürfe. Daß sie mich nie in meiner Abgeschiedenheit besuche. Daß ich an ihrem Leben keinen Anteil hätte und sie an meinem Leben keinen Anteil nähme. Daß sie an Tante Sidonia denke, niemals an mich.
Mila biß in die bereits zerkaute Filzstiftkappe, und als sie dann schrieb, kalligraphierte sie nicht wie gewöhnlich, sondern erschreckte mich durch eine fahrige, eckige, unausgeglichene Schrift, die ich in einem Gutachten als besorgniserregend bewertet hätte.
Sie räumte ihre Tasse weg und begann, die Pomeranzen abzuwaschen.
Meine Schwester kochte, wenn es ihr schlechtging, Marmelade ein. Ich saß gerne dabei, sah zu, wie Zucker in warme Flüssigkeit rieselte, die Lösung aufkochte, eindickte, Blasen warf. Mila
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