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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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Weichheit, die mich zur Durchsetzung unfähig macht.
    Auf diesem Weg habe ich sonst nach Erlkönigen ausgespäht. Jetzt überall tote Fische. Die Erlkönigstellen mit toten Fischen gleichsam verstopft.
    Die Abwesenheit des Erlkönigs ist eine grundsätzliche. Er hat keinen Ort. Aber er hinterläßt besonders bedeutungslose Stellen, zutiefst unauffällige, flüchtigste Stellen, in denen sich seine Abwesenheit sammelt, in denen er sich verbirgt. Diese Stellen sind von einer gesteigerten Durchschnittlichkeit betroffen, nichts an ihnen ist hervorgehoben, sie lösen sich auf in äußerster Normalität. Kein Vibrieren der Luft, kein Flimmern, kein plötzlicher Windstoß, es geht, pathetisch ausgedrückt, um einen Ort ohne Eigenschaft. Es muß sich selbstredend um sehr subtile Orte handeln, leere Stellen, die ernst zu nehmen sind, potente Stellen, Orte der Intimität. Leere Stellen des Erlkönigs.Jagd nach diesen Leerstellen. Die Welt an sich ist zu voll. Vor allem mit den Problematiken der Leute.
    Es ist ganz still am See. Mittagszeit. Ich bin in der Mittagspause unterwegs, ich verzichte auf das Mittagessen, ich kann mir später auf der Heizung Reibekuchen auftauen. Rohe Reibekuchen mit Rübenkraut. Besser als nichts. Die Sonne bricht durch, macht den See unkenntlich vor Glanz. Es riecht nach totem Fisch, nichts rührt sich, nur etwas huscht einen Stamm hinauf, ein Eichhörnchen, rothaarig wie ich.
    Kahle feingliedrige Zweige. Ein gewisses Licht. Verhangen. Nachmittäglich. Schon im Schwinden begriffen. Zwischen den Zweigen die Leere. Es gibt eine vielversprechende, eine pulsierende Leere, eine mit der Hoffnung auf kommende Fülle gesättigte Leere, bei der man nur darauf wartet, daß sich etwas verändert, in dieser Leere etwas erscheint, und sei es nur ein neuer Gedanke, eine feine Empfindung, etwa von Zuversicht. Und es gibt eine rauhe, wie entrückende Leere, eine Leere, die wie ein reißender Wind dazu verleiten will, ihr zu folgen, ihr in eine beliebige Richtung nachzuziehen, eine beunruhigende, beängstigende Leere, die suggeriert, daß man dort, wo man sich befindet, etwas Entscheidendes verpaßt.
    Die majestätische Leere kommt triumphal daher, sie schüchtert ein mit ihrer Größe und Gewalt, man möchte sich vor ihr ducken, sie ist demonstrativ, nicht einladend. Sie breitet sich aus, sie drängt weg, Beispiel: der repräsentative Platz, auf dem mit Vorliebe Militärparaden abgenommen werden.
    Die prickelnde Leere findet sich hier und da wie ein kleiner Springbrunnen. Etwas ist ausgelassen worden, daraus resultiert Erleichterung. Die prickelnde Leere macht Freude.
    Die verführerische Leere stellt eine Behauptung auf, daß da etwas sei. Das ist der Normalfall der Dinglichkeit.
    Die diabolische Leere erzeugt ein Erinnerungsbild im Bewußtsein, dem in der sogenannten Wirklichkeit nichts entspricht. Sie manifestiert zugleich die Überzeugung, daß diesem Bild aber etwas entsprechen müßte, und addiert so ohne weiteres Verlustgefühle, Sehnsucht, Gier, Neid und die anderen Todsünden.
    Die abgewandte Leere ist jene, um die der Betrachter werben muß. Sie erscheint gleichsam beleidigt, in sich zurückgezogen, man erkennt sie kaum, weil zuviel anderes da ist, was Beachtung fordert. Beispiel: Auf einem überfüllten Marktplatz konzentriere man sich auf die Rückseiten der Bretterbuden und die dort abgestellten, für den Moment ganz nutzlosen Gefährte.
    Das alles ist nicht die Leere, um die es geht. Mit diesen Leereformen, Leerformeln täuscht der Erlkönig über seine wahre Abwesenheit hinweg.
    Als Faustregel gilt: Sobald die Leere zu einer Handlung animiert, ist es nicht die gesuchte. Das Entscheidende ist, daß die äußere, die als äußerlich gedachte Leere ins sogenannte Innere übergeht, daß das Denken zum Stillstand kommt.
    Odilo hatte sich zu einem Spezialisten der brillanten Leere entwickelt. Er konnte das Funkeln vorausfühlen, mit dem sich Neuigkeiten ankündigen. Er wollte immer ein Schimmern, ein Vibrieren wahrgenommen haben, wo am Ende nichts war. Er wollte nicht einsehen, daß es um Schimmern auch keinesfalls ging, eher um Nichtschimmern. Vielleicht projizierte er auch nur, vielleicht provozierte er mich.
    Leere nervte ihn. Er war vom Wunder der Erscheinung fasziniert, von den Möglichkeiten des Materiellen, und ihn interessierte an der Leere allenfalls die Potenz.
    Und oft, wenn ich auf ihn wartete, schien mir der Ort, an dem er auftauchen würde, von dieser brillanten, schmeichelnden,

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