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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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ihres Lebens nicht mehr sicher sein.
    Sowohl der Direktor als auch das Prinzip der Vergasung wanderten nach zwei Jahren in die Konzentrationslager ab. Während man erste KZ-Häftlinge zunächst auf dem Sonnenstein ermordet hatte, wurden die Gaskammern, die hier erprobt worden waren, in großem Stil dann andernorts nachgebaut.
    Der Leiter des Sonnensteins führte später im Konzentrationslager Auschwitz medizinische Experimente durch. Er sterilisierte Frauen und Männer mit Röntgenstrahlen, doch die Versuche mißlangen. Die Behandelten erlitten schwere Verbrennungen, die Organe entzündeten sich, viele starben qualvoll an den Folgen. Strahlen, von denen sich Schreber noch befruchtet wähnte, erwiesen sich nicht als geeignetes Mittel für Unfruchtbarkeit.
    Es gibt Orte, an denen sich nur Unglückliche einfinden. Orte, an denen sich das Unglück festgesetzt hat, Orte, die es auf alle übertragen, die sich dort aufhalten.
    Der architektonische Komplex Sonnenstein diente nach dem Ende der Krankenmorde als Reichsverwaltungsschule und Reservelazarett. Wenn wir davon ausgehen, daß auch die Zöglinge der Reichsverwaltungsschule unter psychischen Deformationen litten, wenn wir bereit sind, auch diese Deformationen als Verwundungen zu betrachten, so kann zusammenfassend gesagt werden, daß der Sonnenstein immer ein Ort der Versehrten war. Ein Ort, an dem sich das Grauen jener Gesellschaft kristallisierte.
    Beim architektonischen Komplex Sonnenstein handelte es sich um Gebäude, die die Rote Armee als Truppenunterkunft genutzt und nach ihrer Befreiungsarbeit weitgehend zerstört hatte. War es ihnen mit dieser Zerstörung gelungen, den Fluch aus den Mauern zu vertreiben?
    Elektrische Leitungen waren gekappt, Lampen von der Wand gerissen, Möbel verfeuert. Türen fehlten, Wasserrohre waren gebrochen. Hunderte Fensterscheiben mußten neu eingezogen werden, die Heizung erneuert, die Sanitäranlagen wiederhergestellt.
    Hierher kamen Johannes und Sidonia Janich als Kriegswaisen. Vom Übernahmepunkt am Bahnhof brachte man sie hierher, ins Auffanglager.
    Beim architektonischen Komplex Sonnenstein handelte es sich jetzt um eine Durchgangsstation für die Vertriebenen, eine Sammelstelle für menschliches Strandgut, um einen Umschlagspunkt für Umsiedler.
    Am Bahnhofsvorplatz hatte man provisorische Toilettenanlagen errichtet und schon dort eine erste Desinfektion vorgenommen. Die Neuankömmlinge erhielten ein Stück Brot vom Roten Kreuz, das sie sofort aßen. Dann bewegte sich die Menschenmenge den Berg hinauf zu den Unterkünften: großzügige und solide Nebengebäude des Schlosses, vor denen es einstmals gepflegte Rasenflächen gegeben haben mußte, Rasenflächen, die jetzt von den durchreisenden Massen so zertrampelt waren, daß kein Halm mehr wuchs. Nur juniheller Staub, der sich auf die Schuhe legte, sofern man noch Schuhe besaß.
    Die Geschwister wurden in eine düstere Halle im Erdgeschoß geführt. Obwohl es Sommer war, herrschte in dieser Halle eine höhlenhafte Kälte. Sie wurden aufgefordert, ihre Kleider abzulegen, sich splitternackt auf ein Brett zu stellen. Jemand sprühte ihre Haare mit einer weißlichen Flüssigkeit ein, hieß sie so lange stehenzubleiben, bis die Masse eingetrocknet war. Sie standen barfuß auf dem Brett, krümmten die Zehen. Dunkel atmende Statuen, die nicht wagten, sich zu rühren. Magere Kinder mit vorstehendem Brustkorb, die zitternd mit den Wänden verschmolzen. Vorpubertäre Kinder mit schneeweißem Haar.
    Dann führte man sie in die Waschräume, ließ sie sich waschen. Auf dem Umsiedlerpaß wurde der Name Janich, Johannes eingetragen und auf der Gesundheitsbescheinigung die erste Entlausung vermerkt. Er wurde gegen Typhus und Paratyphus geimpft. Er bekam eine Essenskarte für die 27. Kalenderwoche, in der schon zweimal Essen durchgestrichen war, weil man am Tag seiner Ankunft den Dienstag schrieb, und er bekam einen Schlafplatz. Damit begann die zweiwöchige Quarantäne.
    Er stand unter freiem Himmel in der Schlange an der Essensausgabe, eine Frau überstempelte auf seiner Essenskarte das maschinengetippte Wort Essen , sie machte es mit violetter Stempelfarbe unkenntlich. Eine andere füllte ihm mit triefender Kelle einen Napf voll Haferschleim. Er nahm den Suppennapf entgegen und balancierte ihn zu den Tischen. Er blickte in die trübe Flüssigkeit, Spreu vor verhangenem Himmel, er blickte noch einmal hinein, eine Suppe, in der die Sonne schwamm. Wieder und wieder holte er Suppe, wäßrig und

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