Die Sonnenposition (German Edition)
hatte. Und da sie auf diesem Wunsch beharrte, blieb es an Mila und mir hängen, sie zu begleiten.
Unsere Tante hatte die Reise von langer Hand vorbereitet. Sie hatte mit den Reisebussen der vergangenen Jahre Kundschafter vorausgesandt, die Kontakte knüpften und im Ort die alte Frau Clara auffanden, die nach dem Krieg dortgeblieben war und übersetzen konnte. Unsere Tante hatte mit Hilfe von Claras Sprachkenntnissen Briefe gewechselt, sie hatte regelmäßig Pakete mit Hilfsgütern in jenes Haus geschickt, das ehemals ihres gewesen war. Sie schickte nie Geld, sie schickte stetsSachwerte. Einmal hatte man von ihr sogar eine Waschmaschine erbeten und postwendend erhalten. Geld konnten fremde Leute zu einfach verpulvern. Bei Gegenständen glaubte sie die Kontrolle darüber zu behalten, daß sie mit dem, was sie sich selbst vom Mund absparte, Nutzen brachte. Den Briefen entnahm sie, daß man ihr dankbar war; daß man sie schätzte und liebte, sie einlud zu kommen.
Liebe Frau Justyna,
wir kommen am Donnerstag, 4. August mit dem Kreuz. Wir möchten es im Garten aufstellen, dort, wo sich das Grab befindet. Es wäre gut, wenn Ihr Mann an diesem Tag zugegen wäre und uns helfen könnte.
Liebe Frau Sidonia,
wir können Ihnen ein schönes Kreuz schmieden lassen, mit Eisenrosen und geschwungenen Blättern. Warum wollen Sie es so weit transportieren. Es ist hier billiger als in Deutschland.
Liebe Frau Justyna,
lassen Sie das bitte mit dem Kreuz. Eisen kommt nicht in Frage. Das rostet doch sofort. Wir benötigen etwas Haltbares, und es soll auch nicht verschnörkelt sein, sondern schlicht, wir brauchen keinen überflüssigen Zierat. Ich habe in Köln ein Kreuz anfertigen lassen, es ist aus Lindenholz. Wir bringen es mit. Wichtig ist, daß es an der richtigen Stelle plaziert werden kann.
Liebe Frau Sidonia,
wo befindet sich die richtige Stelle? Unser Garten ist groß. Der Rasen wächst hoch, alles verwildert. Wir besitzen keine Mähmaschine, wir müssen mit der Sense mähen. Es ist zuviel Arbeit. Aber wenn Sie kommen, bereiten wir die Wiese vor, wenn Sie kommen, wird alles schön sein.
Liebe Frau Justyna,
machen Sie sich bitte keine Umstände. Sie brauchen für uns nichts vorzubereiten. Wir trinken keinen Kaffee (meine Nichte wird davon nervös), wir mögen keinen Kuchen (mein Neffe ist gegen alles allergisch), und wir wollen auch nicht lange bleiben. Es wäre aber angenehm, wenn wir das Haus besichtigen könnten, die Zimmer, den Dachboden, den Anbau und natürlich den Garten.
Das Busunternehmen, das meine Tante gewählt hatte, führte regelmäßig Heimwehreisen nach Schlesien durch. Der Bus steuerte touristisch markante Punkte an, in den größeren Orten wurde übernachtet, und wer wollte, konnte von dort aus sein Heimatdorf, seine Kleinstadt aufsuchen.
Wir machen alles mit, hatte Tante Sidonia verkündet, was Mila mit einem verzerrten Grinsen quittierte, und folgsam machten wir alles mit, wir besichtigten Städte und Naturdenkmäler, trotteten durch Kirchen und Museen, während sich einzelne Mitglieder der Gruppe jeweils absetzten und ihre persönlichen Interessen verfolgten, Unruhe auslösten, Eifersucht. Aber schließlich war die Reihe an uns.
Das private Taxi, das von der Reiseleitung für uns organisiert worden war, hatte uns bis zur Hauptstraße gebracht. Der Fahrer würde uns hier in einigen Stunden auch wieder abholen.
Ich trug das Bündel mit dem Kreuz über der Schulter, außerdem klemmte mir der Karton mit dem Waffeleisen unter dem Arm, das wir in einem kleinen Elektrogeschäft neben unserem Hotel am Marktplatz erworben hatten, weil Justyna sich ein Waffeleisen wünschte. Ich schwitzte stark. Wir gingen sehr langsam, der Weg zog sich hin. Wir folgten im Gänsemarsch der alten Clara, die in Schlappen über den schmalen Bürgersteig schlich. Mila trug in Sidonias Einkaufsbeutel Schokoladentafeln, die während der Fahrt auf dem Sitz in der Sonne gelegen hatten. Sie sind alle angeschmolzen, flüsterte Mila mir zu. Sie hätten sich verformt. Es sei ihr unangenehm, sie zu überreichen, ich möge es tun. Tante Sidonia trug in der Handtasche einen Gummihammer, weil sie sich nicht sicher war, ob Karol, der Mann von Justyna, einen solchen besaß.
Justyna erwartete uns am Zaun. Drei kleine Kinder hingen an ihr und rannten ins Haus, als wir uns näherten. Sie trug eine Schürze über einer Trainingshose, ihr blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, sie schob mit dem Fuß zwei triefnasige Kätzchen
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