Die Sonnenposition (German Edition)
gelang, die Schwangerschaften vollständig zu übersehen. Sie war nicht gertenschlank, von daher konnte ein weiter Pullover einiges kaschieren. Daß die Nachbarn keine besonderen Veränderungen bemerkten, läßt sich erklären oder zumindest ertragen. Den Eltern und Schwiegereltern, zu denen regelmäßiger Kontakt bestand, die sie am Wochenende besuchte, mit denen sie täglich telefonierte, hätte etwas auffallen müssen. Selbst wenn sie keine Notwendigkeit sahen, den sehr veränderlichen Körperumfang ihrer Tochter oder Schwiegertochter zu kommentieren, wenn sie es vorzogen, an Diäten und gescheiterte Diäten, an ein immerwährendes Diätprogramm und den Jo-Jo-Effekt zu glauben, gibt es doch in einer solchen Situation auch etwas, was über den Augenschein hinausgeht, einen psychischen Ausnahmezustand, einen weiteren, wenn auch ungeborenen, Menschen im Wohnzimmer, dessen Anwesenheit man verdrängt. Doch auch diejenigen Personen, mit denen sie auf engstem Raum in einer kleinen Mietwohnung zusammenlebte, die beiden pubertierenden Söhne, der Kindsvater, wollen nichts gesehen und auch nichts gespürt haben, kein verändertes Verhalten, kein morgendliches Erbrechen im Bad, kein stumpfer werdendes Haar, kein verbessertes Hautbild. Von pubertierenden Söhnen wird man eine solche Aufmerksamkeit nicht unbedingt erwarten, sie sind in diesem Alter mit sich selbst beschäftigt. Oliver Weichhals jedoch, der Erzeuger dieser Söhne, versetzte durch seine Fähigkeit, die eigene Frau aus seinem Bewußtsein auszublenden, auch die Fachwelt in Erstaunen. Zu seiner Entschuldigung wird angeführt, er sei berufsbedingt die meiste Zeit abwesend gewesen. Allerdings hielt er sich, von der meisten Zeit einmal abgesehen, die übrige Zeit in der gemeinsamen Mietwohnung auf. Er betrat nach einigen durchgehenden Arbeitstagen, an denen er auswärts übernachtete, die heimatliche Wohnung, die beengt war, dünnwandig, eine pappwandige Wohnung, die dazu zwang, innere Wände hochzuziehen als Ersatz, die ihre Bewohner zu akustischer Abstumpfung nötigte, ihr Revierverhalten irritierte. Er kam in der Dämmerung nach Hause, den Schlüssel kämpferisch vorgestreckt, er stieß ihn ins Schloß, markierte die Garderobe mit seinem Mantel, besetzte die Couch, scheuchte die Söhne vom Fernseher weg in ihr Zimmer. Die Söhne pubertierten in einem winzigen Zimmer mit Etagenbett. Jeder besaß eine Schreibtischhälfte, eine Schrankhälfte, die Lage war erträglich, weil sie sich, wie ihr Vater, die meiste Zeit außer Haus aufhielten. Sportbedingt pflegten sie eine überwiegende Abwesenheit, aber wenn sie, wie jetzt, in der Wohnung waren, wurde Oliver Weichhals sofort nervös. Sein Adamsapfel schnellte vor, er zog die Schultern hoch, ballte die Faust in der Tasche. Seine Ehefrau hantierte in der Küche. Ein Gemüsemesser tackte auf das Plastikbrett, Salatbesteck stieß an die Glasschale, die Dunstabzugshaube heulte. Die Kochgeräusche verschmolzen mit dem Fernsehton, und er blendete alles zusammen aus, horchte darauf, was die Söhne im Pubertätszimmer trieben. Seine Hand hatte sich geöffnet und spielte mit den Kordelfransen, die grüngolden am Couchrand herunterhingen, die aalglatt durch die Finger rannen, eingedreht wie weiche Korkenzieher.
Beim Abendessen trank seine Frau zuviel, er sah weg, sah die voluminösen Vasen an, die auf allen Schränken hockten wie Fetische. Sah auf die sehnigen Hände seiner Söhne, die mit dem Besteck vor ihren Fußballtrikots hantierten, sah schnellauf die Vasen zurück. Er haßte die Vasen, weil seine Frau sie aufgestellt hatte, ohne mit ihm Rücksprache zu halten. Sie besetzten die ganze Wohnung, setzten ihn stillschweigend ins Unrecht. Dabei hatte er sich durchaus nichts vorzuwerfen. Er ertrug die Trunksucht seiner Frau. Er ließ sich nicht anmerken, daß seine Söhne ihn nervten. Ein einziges Mal hatte er, außer sich vor Wut, ihnen die Teller unterm Besteck weggerissen, aber am nächsten Tag aßen sie wieder, als wäre nichts geschehen. Es war ja auch nichts geschehen. Er hatte den Eindruck, daß sein Leben unverändert voranlief, unangenehme Arbeit, unerfreuliches Familienleben, aber er hielt durch, blieb anständig, kam zurecht.
Nach dem Essen hing seine Frau mit glasigen Augen im Stuhl. Die Söhne weigerten sich, den Tisch abzuräumen. Er trug die Teller in die Küche und stellte sie in die Spülmaschine. Er wusch die Töpfe ab, die sich seit der letzten Woche angesammelt hatten, er wischte die Arbeitsflächen, putzte den
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