Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bennett
Vom Netzwerk:
durchsprechen wollte, als sie es für nötig hielt, konnte sie das Vorgespräch zur Besichtigung eines Verkehrsforschungsinstituts durch die unverhoffte Erklärung beenden, dass heute Mittwoch sei und sie daher ihr Buch im Bücherbus umtauschen müsse. Ihr Privatsekretär Sir Kevin Scatchard, ein äußerst gewissenhafter Neuseeländer, von dem noch große Dinge erwartet wurden, blieb nichts anderes übrig, als seine Papiere zusammenzusuchen und sich zu fragen, wozu Ma’am einen mobilen Bücherbus brauchte, wo sie doch selbst mehrere fest installierte Bibliotheken ihr eigen nannte.
    Ohne die Hunde war ihr Besuch diesmal wesentlich ruhiger, doch auch diesmal war Norman der einzige andere Gast.
    »Wie fanden Sie es denn, Ma’am?«, fragte Mr. Hutchings.
    »Dame Ivy? Ein bisschen trocken. Und alle reden genau gleich, ist Ihnen das auch aufgefallen?«
    »Um ehrlich zu sein, Ma’am, bin ich nie über ein paar Seiten hinausgekommen. Wie weit sind Eure Majestät denn gelangt?«
    »Na, bis zum Ende. Wenn ich ein Buch anfange, dann lese ich es auch bis zum Schluss. So bin ich erzogen worden: Bücher, Butterbrote, Kartoffelbrei – was auf dem Teller ist, wird aufgegessen. Das war schon immer meine Philosophie.«
    »Es war übrigens gar nicht nötig, das Buch zurückzubringen, Ma’am. Wir verkleinern unsere Bestände, und alle Bücher auf diesem Regal sind umsonst.«
    »Sie meinen, ich kann es behalten?« Sie drückte das Buch an sich. »Ich bin trotzdem froh, hergekommen zu sein. Guten Tag, Mr. Seakins. Schon wieder Cecil Beaton?«
    Norman zeigte ihr das Buch, das er gerade ansah, diesmal etwas über David Hockney. Sie blätterte es durch und betrachtete ungerührt die Hinterteile junger Männer, die sich aus kalifornischen Swimmingpools hievten oder nebeneinander in ungemachten Betten lagen.
    »Einige davon«, sagte sie, »sehen gar nicht richtig fertig aus. Das hier zum Beispiel ist doch ganz offensichtlich verschmiert.«
    »Ich glaube, das war damals sein Stil, Ma’am«, sagte Norman. »In Wirklichkeit ist er ein sehr guter Zeichner.«
    Die Queen sah Norman erneut an. »Sie arbeiten wirklich in der Küche?«
    »Ja, Ma’am.«
    Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, noch ein Buch auszuleihen, kam aber nun zu dem Entschluss, das sei womöglich leichter, als es nicht zu tun, obwohl sie beim Gedanken an die Buchwahl genauso ratlos war wie letzte Woche. Im Grunde wollte sie gar kein weiteres Buch und ganz bestimmt kein weiteres von Ivy Compton-Burnett, denn das schien ihr nun wirklich zu anstrengend. Es war also ein glücklicher Zufall, dass ihr Blick auf eine Neuausgabe von Nancy Mitfords Englische Liebschaften fiel. Sie nahm das Buch in die Hand. »Hat ihre Schwester nicht diesen Mosley geheiratet?«
    Mr. Hutchings sagte, er glaube schon.
    »Und die Schwiegermutter einer weiteren Schwester war meine Oberhofmeisterin?«
    »Darüber weiß ich nichts, Ma’am.«
    »Und dann war da natürlich noch dieser eher traurige Fall, die Schwester, die ein Techtelmechtel mit Hitler hatte. Und eine wurde Kommunistin. Und dann, glaube ich, gab es noch eine andere. Aber das hier ist also Nancy?«
    »Jawohl, Ma’am.«
    »Gut.«
    Selten konnten Romane so gute Verbindungen aufweisen wie dieser, und mit entsprechender Überzeugung reichte die Queen Mr. Hutchings das Buch zum Abstempeln.
    Englische Liebschaften erwies sich als auf seine Weise bedeutsamer Glücksgriff. Hätte Ihre Majestät sich erneut für trockene Lektüre entschieden, ein Frühwerk von George Eliot beispielsweise oder ein Spätwerk von Henry James, wäre sie als unerfahrene Leserin womöglich endgültig von der Literatur abgeschreckt worden, und dann gäbe es jetzt nichts zu erzählen. Bücher, so hätte sie gefolgert, bedeuteten Arbeit.
    Von diesem jedoch war sie bald gefesselt, und als der Herzog von Edinburgh mit seiner Wärmflasche an ihrer Schlafzimmertür vorüberging, hörte er sie laut auflachen. Er steckte den Kopf durch die Tür. »Alles in Ordnung, altes Mädchen?«
    »Natürlich. Ich lese.«
    »Schon wieder?« Und er zog kopfschüttelnd ab.
    Am nächsten Morgen hatte sie leichten Schnupfen, und da keine Termine anstanden, blieb sie im Bett und sagte, sie spüre eine Grippe im Anzug. Das war ungewöhnlich und außerdem unwahr; in Wirklichkeit wollte sie nur in ihrem Roman weiterkommen.
    »Die Queen hat eine leichte Erkältung«, wurde der Nation mitgeteilt, nicht mitgeteilt wurde ihr jedoch, was die Queen selbst noch nicht wusste, dass dies nämlich nur die erste

Weitere Kostenlose Bücher