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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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theologischen Exzessen, so müssen sie jedem, der auch nur ein wenig aufgeschlossen ist, zunehmend plausibel erscheinen. Eine weitere Tendenz, die der unseligen sektiererischen Frömmigkeit entgegenwirkt, ist die Ausbreitung des Internets und die Globalisierung von Institutionen und deren Nutzern. Eine Untersuchung hat kürzlich ergeben, dass die zunehmende Vernetzung von Menschen weltweit deren kosmopolitische Einstellung fördert. Maßgeblich ist dabei, dass Faktoren wie ethnische Zugehörigkeit, räumliche Herkunft und Nationalität als Identifikationsquellen geschwächt werden.[ 2 ] Gestärkt wird dadurch zudem eine weitere Tendenz, nämlich die Homogenisierung der Menschheit hinsichtlich Hautfarbe und ethnischer Zugehörigkeit durch Mischehen. Unvermeidlich wird dadurch der Glaube an Schöpfungsmythen und sektiererische Dogmen geschwächt.
    Als erster Schritt zur Befreiung der Menschheit von den oppressiven Formen des Tribalismus würde sich anbieten, mit dem gegebenen Respekt die Anmaßung derjenigen Machthaber zurückzuweisen, die von sich behaupten, im Namen Gottes zu sprechen, besondere Stellvertreter Gottes zu sein oder über eine exklusive Kenntnis von Gottes Willen zu verfügen. Zu diesen Lieferanten für theologischen Narzissmus gehören Möchtegern-Propheten, die Gründer religiöser Kulte, leidenschaftliche evangelikale Pastoren, Ayatollahs, Vorsteher der heiligen Moscheen, Großrabbiner, Rosch-Jeschiwas, der Dalai-Lama und der Papst. Dasselbe gilt auch für dogmatische politische Ideologien, die auf einer unwiderlegbaren Lehre fußen, sei es von rechts oder von links, und besonders wenn sie mit den Dogmen organisierter Religionen gerechtfertigt werden. Womöglich enthalten sie intuitive Weisheit, die durchaus der Beachtung wert ist. Womöglich haben ihre Anführer die besten Absichten. Aber die Menschheit hat genug gelitten unter der grob verfälschten Geschichte, wie falsche Propheten sie erzählt haben.
    Ich erinnere mich an eine Geschichte, die mir vor langer Zeit ein medizinischer Entomologe erzählte; es ging um die Übertragung des Rückfallfiebers durch Ornithodorus -Zecken in Westafrika. Wenn das Fieber zu sehr wütete, so erzählte er, zogen die Menschen dort mit ihrem gesamten Dorf an einen neuen Ort. Als er eines Tages einen solchen Umzug miterlebte, sah er einen alten Mann, der einige der hässlichen, entfernt mit Spinnen verwandten Tiere vom schmutzigen Boden einer Hütte hob und sie vorsichtig in eine kleine Schachtel setzte. Auf die Frage, warum er das tat, antwortete der Mann, er nehme sie mit in die neue Siedlung, «weil ihre Geister uns vor dem Fieber schützen».
    Ein anderes Argument für eine neue Aufklärung lautet, dass wir auf diesem Planeten mit allem, was wir an Vernunft und Verständnis aufbringen können, allein und damit als Einzige für unsere Handlungen als Art verantwortlich sind. Der Planet, den wir erobert haben, ist nicht einfach eine Station auf dem Weg in eine bessere Welt da draußen in irgendeiner anderen Dimension. Auf eine moralische Vorschrift können wir uns mit Sicherheit einigen: Wir müssen damit aufhören, unsere Heimat zu zerstören, die einzige Heimat, die die Menschheit je haben wird. Die Beweise dafür, dass die globale Erwärmung real und die industrielle Verschmutzung ihre Hauptursache ist, sind inzwischen erdrückend. Selbst bei flüchtiger Betrachtung ebenso evident ist das Verschwinden von tropischen Wäldern, Grasland und anderen Lebensräumen, in denen es die größte Vielfalt des Lebens gibt. Wird der globale Wandel aufgrund von Habitatzerstörung, invasiven Arten, Verschmutzung, Überbevölkerung und Übererntung nicht gestoppt, so könnte am Ende dieses Jahrhunderts die Hälfte aller Pflanzen- und Tierarten ausgestorben sein oder zumindest zu den «lebendigen Toten» (vom baldigen Aussterben bedrohten Arten) gehören. Ohne Not verwandeln wir das Gold, das wir von unseren Vorfahren geerbt haben, in Stroh, und unsere Nachkommen werden uns dafür verachten.
    Die Zerstörung der Artenvielfalt in der lebendigen Welt erfährt viel weniger Aufmerksamkeit als der Klimawandel, die Erschöpfung unersetzlicher Ressourcen und andere Umwälzungen der physikalischen Umwelt. Wir wären gut beraten, nach folgendem Prinzip zu handeln: Wenn wir die lebendige Welt erhalten, erhalten wir automatisch auch die physikalische Welt, weil wir zum Erreichen des Ersten auch das Zweite erreichen müssen. Erhalten wir aber nur die physikalische Welt, wozu wir derzeit zu

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