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Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Die Spieluhr: Roman (German Edition)

Titel: Die Spieluhr: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Tukur
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sucht!«
    Amadé hatte meine Hand ergriffen, und wir öffneten die Türe zum Korridor.
    Zu meinem Erstaunen war es draußen noch hell, und goldenes Abendlicht fiel durch die hohen, verstaubten Fensterscheiben.
    DER MARQUIS ERWARTETE uns im Speisesaal. Knapp wies er seinen Sohn zurecht, er solle sich in Zukunft mehr in Pünktlichkeit üben, tat es aber auf Grund meiner Anwesenheit in angenehm mildem Ton, während die Comtesse neben ihm mit herabgezogenen Mundwinkeln auf ihren dampfenden Suppenteller starrte.
    Wir setzten uns, und der Marquis gab seiner großen Sorge darüber Ausdruck, daß nun schwere Tage über Montrague hereinbrächen, mit Durchsuchungen, peinlichen Befragungen, Verhaftungen gar; Polizei und SS fahndeten in Paris nach den Verschwörern und ihren Helfershelfern und dehnten die Suche auf das ganze Umland aus.
    Dem Major hätte er geraten, sich in einem geheimen Raum im Dachgeschoß zu verstecken, der schon vor einhundertfünfzig Jahren Verfolgten der Revolution Schutz geboten hatte.
    Ich betrachtete Amadé. Er saß da, löffelte seine Suppe und schwieg. Er wußte so gut wie ich, daß sich Major von Rotha jeglicher Verfolgung für immer entzogen hatte.
    Sein Kopf glühte, und ich sah ihm an, daß er kaum erwarten konnte, endlich ins Bett gebracht zu werden, um sich dann so schnell wie möglich in den Spiegelsaal davonzuschleichen.
    Noch heute nacht würde er Marie-Élisabeth, Giambattista und den Major wiedersehen und mit ihnen musizieren.
    Ich stellte mir vor, wie Friedrich von Rotha neben der Frau saß, die er seit Jahren begehrte, und mit ihr vierhändig Cembalo spielte und wie sie engumschlungen durch phantastische Räume gingen, die niemand von uns je sehen würde.
    Merkwürdig war nur, daß der Marquis offenbar nicht die geringste Ahnung vom geheimen Leben seines Sohnes hatte, wie auch das Mysterium des Gemäldes im Spiegelsaal, das ein Tor in eine Welt darstellte, die hinter unserer existierte und anderen physikalischen Gesetzen gehorchte, ihm unbekannt schien.
    Solche magischen Türen oder Einstiegsluken gab es wohl überall, an den sonderbarsten Orten, dort, wo man sie am wenigsten vermutete.
    Bei mir und Jean-Luc war es die kleine Brücke hinter Aumont gewesen, die uns nach Montrague geführt hatte, das wiederum den Zugang in andere, entferntere Schichten bot.
    So konnte man von Zeit zu Zeit, von Welt zu Welt springen und würde nie an ein Ende kommen.
    Es war verrückt! Als ich daran dachte, ob es mir wohl gelingen würde, an den Ort zurückzukehren, wo ich keine zwölf Stunden zuvor aufgebrochen war, erfaßte mich leises Entsetzen.
    Was war, wenn ich mich bereits hoffnungslos verloren hatte, wohin würde die Reise gehen …?
    Der Marquis unterbrach meine Gedanken.
    »Herr Doktor Wilhelm«, sagte er, »ich habe Ihnen für heute nacht ein Gästezimmer herrichten lassen. Sie werden morgen früh um sechs Uhr abgeholt und nach Orléans gefahren. Dort übernimmt Sie ein Mann, dessen Name mir nicht bekannt ist, er wird Sie über die Demarkationslinie nach Süden bringen.«
    Ich dankte ihm und fragte, ob ich die Nacht nicht in einem anderen Zimmer verbringen könnte, am liebsten dort, wo früher die Mägde und Séraphine geschlafen hätten …
    Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte plötzlich das deutliche Gefühl, daß diese Kammer der Schlüssel war, der mir die Rückkehr in meine Wirklichkeit ermöglichte, einer Wirklichkeit, von der ich nun allerdings wußte, daß es sie gar nicht gab.
    Das Zimmer sei zwar noch vorhanden, erwiderte der Marquis erstaunt, nur hätte es seit vielen Jahren niemand mehr benutzt, aber wenn ich darauf bestünde, würde es selbstverständlich für mich vorbereitet.
    So kam es, daß ich ziemlich genau dreizehn Jahre vor meiner Geburt, in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli 1944, in einem Bett einschlief, das dreißig Jahre zuvor die Schlafstätte der Séraphine de Senlis gewesen war.
    DIE EINDRÜCKE DIESES TAGES waren tief und verstörend gewesen, die Welt stand kopf, Tatsachen hatten sich als Trugbilder erwiesen, physikalische Gesetze waren ausgehebelt, und ich steckte an einem Punkt, von dem ich nicht wußte, wie es weiterging.
    Ich war erschöpft und schlief tief und traumlos. Stunden oder nur Minuten, ich weiß es nicht.
    Ich fuhr hoch.
    Es war nichts zu hören. Aber etwas im Raum hatte sich verändert.
    Ich drückte auf den Schalter der Nachttischlampe.
    Sie funktionierte nicht.
    Es waren auch keine Streichhölzer da.
    Aufrecht saß ich im Bett und starrte

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