Die Spinne (German Edition)
zu Johann Thüringer. Das sofortige Ja vom anderen Ende der Leitung traf sie wie ein Schock. Im Lauf ihrer Erdgeschossexistenz hatte sie sich daran gewöhnt, dass solche Anfragen nur schleppend bearbeitet und dann nach Wochen kommentarlos abgelehnt wurden. Problemlose Zustimmung gehörte einfach nicht zu ihrem Weltbild.
So sprach sie am Sonntag, den 20. April im Vollgefühl ihrer Macht über eine sichere Verbindung zur Budapester Botschaft mit Thüringer. Auf Anweisung des MAD hatte er den größten Teil der zurückliegenden Nacht in Gesellschaft von Zsuzsa Papp verbracht, die nach etlichen Drinks und verängstigten Tiraden darüber, dass sie niemandem trauen könne, schließlich doch noch ein wenig aus sich herausgegangen war. Sie gab zwar nicht allzu viel preis, wie er einräumte, doch immerhin ließ sie irgendwann einen Namen fallen: Rick. Wahrscheinlich alles kein Geheimnis , meinte Papp. Nicht mehr. Henry hat mit einem chinesischen Spion namens Rick zusammengearbeitet. Einen ganzen Monat lang. Doch letztlich …
»Letztlich was?«, fragte Erika.
»Na ja, letztlich ist sie eingeschlafen. Wenn ich es richtig verstanden habe, war die CIA wegen dieses Chinesen Rick tatsächlich hinter Henry her. Aber seit einem Monat haben sie ihn in Ruhe gelassen. Warum entführen sie ihn dann ausgerechnet jetzt? Das hat Zsuzsa so gewundert. Letztlich glaubt sie, dass die Chinesen dahinterstecken. Dieser Meinung bin ich auch.«
Wegen des Transexpress-Flugzeugs hatte Erika da ihre Zweifel, aber sie machte sich nicht die Mühe, ihn darauf hinzuweisen. Zum einen wollte sie nicht, dass er seine Erkenntnisse umgehend an einen anderen Dienst weitergab, zum anderen hatte ihr Zögern mit Andrei Stanescu zu tun.
Vor drei Wochen war Stanescu nach New York geflogen, um auf einen gewissen Milo Weaver zu schießen – als Vergeltung für den Tod seiner fünfzehnjährigen Tochter Adriana. Bei diesem Unternehmen war Andrei von einem Chinesen unterstützt worden, der sich Rick nannte, aber eigentlich Xin Zhu hieß.
Wenn Namen so hartnäckig in verschiedenen Zusammenhängen auftauchen, lohnt es sich, auf der Hut zu sein.
Auf eine direkte Frage hin hätte Erika Schwartz ihre Gedanken kaum in Worte fassen können, doch sie wies Oskar an, die Augen offen zu halten nach fragwürdigen amerikanischen Aktivitäten innerhalb der deutschen Grenzen und vor allem in der Region Berlin, wo Andrei Stanescu und seine Frau wohnten. Am Montagmorgen konnte sie einer E-Mail entnehmen, dass am Sonntag die amerikanischen Staatsbürger Gwendolyn Davis und Hector Garza über Stuttgart beziehungsweise Frankfurt eingereist und anschließend beide im selben Berliner Hotel abgestiegen waren: im Radisson Blu. Keiner der beiden Namen sagte ihr oder Oskar etwas, doch als die Fotos hereinkamen, deutete Oskar sofort auf die schwarze Frau mit den großen Augen. »Scheiße, das ist doch Leticia Jones.«
Leticia Jones war eine von ganz wenigen bekannten Agenten, die einer eigenartigen CIA -Gruppierung mit der Bezeichnung Abteilung Tourismus angehörten. Jahrzehntelang hatten sich Legenden und Mythen um eine amerikanische Geheimorganisation mit ihren schattenhaften Agenten gerankt, die überall und nirgends auftauchten, ohne dass man sie dingfest machen konnte, und immer eine Spur der Verwüstung hinter sich herzogen. Gruselgeschichten vom schwarzen Mann für Spione. Dass es sich dabei keineswegs nur um eine Sage aus der Geheimdienstwelt handelte, hatte Erika Ende Februar erfahren, und zwar von besagtem Milo Weaver, den sie in ihrem Keller festgehalten hatte. Später hatte sie ein fünfköpfiges Team nach Amerika geschickt, um Weaver diskret zu überwachen. Sie wollte herausfinden, wo diese Abteilung ihren Sitz hatte und wer ihr angehörte.
Sie erhielt interessante Informationen. Weaver traf sich in einem Washingtoner Hotel mit dem Senator von Minnesota, Nathan Irwin, mehreren Mitarbeitern Irwins und Alan Drummond, dem Leiter der Abteilung Tourismus. Ebenfalls zugegen waren ein Mann und eine Frau, die sie später als Zachary Klein und Leticia Jones identifizierten. Nach einer langen Nacht flog die ganze Gruppe vom Reagan International Airport nach New York und fuhr zur 101 West Thirty-first Street in Manhattan. Im zweiundzwanzigsten Stock dieses Hauses, so erkannten sie, war die Zentrale der Abteilung Tourismus.
Doch dieser nachrichtendienstliche Erfolg war nur kurzlebig, denn eine Woche später tauchten gesicherte Umzugslastwagen auf, und große Kerle mit Schulterhalftern
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