Die Spinnenfrau
Der andere wäre beinahe gestorben.
Und jetzt war der Schläger hier. Er suchte auch nach verwertbaren Dingen, allerdings nicht nach Flaschen. Die waren ihm schon etwas zu popelig.
Plötzlich tauchte der andere auf, und es reichte ihm ein Blick, um Zack zu entdecken. In seinem Mundwinkel klemmte ein Zigarillo. Von der Spitze stieß eine dünne Rauchfahne in die Höhe und zerflatterte.
»Ich bin schon weg!«, flüsterte Zack zur Begrüßung. »Sorry, ich wusste nicht, dass ich dich hier finde.«
Der Schläger nickte. In der rechten Hand hielt er einen Fahrradlenker, der er gefunden hatte. Trotz des Zigarillos im Mund fing er an zu grinsen.
Dann sagte er mit seiner bewusst auf cool und lässig gemachten Stimme: »In drei Sekunden bist du weg, du Pinscher.«
»Ja, ja, ich hau ja schon ab.«
»Wenn nicht, hol ich mir dein Bike.«
»Bitte, ich bin schon verschwunden.« Zack drehte sein Rad nach rechts um die Hand, schob es weiter, damit es etwas Fahrt bekam, und schwang sich dann in den Sattel.
Er fluchte, aber fluchte nur innerlich. Der Schläger sollte ihn nicht hören. Nach einigen Metern ging es ihm wieder besser. Da dachte er über etwas nach. Die Nacht war noch nicht hereingebrochen. Hinter der Mauer lag der Friedhof, den er von einigen Besuchen her kannte. Er war zwar keine Fundgrube für ihn, aber es gab auch dort gut gefüllte Abfallkörbe, die man sich mal aus der Nähe anschauen konnte, da war bestimmt so manche Flasche versteckt.
Zack trat in die Pedalen, ohne sich noch mal umzudrehen. Deshalb wusste er auch nicht, ob der Schläger ihn verfolgte oder aufgegeben hatte. Er fuhr durch, bis er das Ende der Mauer erreicht hatte. Sie grenzte nur einen Teil des Friedhofs ab. Der Bereich des Eingangs war ohne Probleme zu betreten. Das änderte sich auch am Abend nicht, und Zack wusste das.
Er hatte sich beeilt und war schon ins Schwitzen gekommen, als er den Friedhof erreichte und erst mal stehen blieb, um zu schauen und zu horchen. Noch traute er dem Frieden nicht, aber der Schläger schien ihm nicht gefolgt zu sein. So konnte Zack das Gelände mit einem einigermaßen guten Gefühl betreten.
Er fuhr nicht, sondern schob sein Rad. Die Wege kannte er und konnte in der Dunkelheit sogar auf eine Taschenlampe verzichten, was ein Vorteil war.
Zacks erstes Ziel war die Trauerhalle. Dort kannte er einen Abfalleimer, der zu den großen gehörte. Er hoffte, dass der Schläger ihn noch nicht gefunden und geleert hatte.
Keiner hielt ihn auf. Man ließ ihn laufen, und er atmete auf, als er die Leichenhalle sah, die ihn an einen riesigen Schatten erinnerte, der in der Landschaft stand.
Alles lief gut. Der Deckel war noch zu. Zack stemmte ihn hoch und hakte ihn fest.
Ein Lächeln umhuschte seine Lippen. Ja, er hatte Glück gehabt. Der Behälter war noch nicht geleert worden, und so konnte er erst mal zufrieden sein.
Er beugte sich vor, tauchte ein und nahm seine kleine Lampe zu Hilfe. Der Strahl wanderte über den Inhalt hinweg, und Zack verzog die Lippen. Er war leicht sauer, denn er sah, dass der Eimer nichts enthielt, was er gebrauchen konnte. Abgesehen von zwei Flaschen, nach denen er allerdings tauchen musste. Er holte sie raus und war etwas zufriedener, denn es handelte sich bei ihnen um zwei Ein-Liter-Gefäße.
Die passten, und als er daran dachte, huschte ein Lächeln über seine Lippen. Er freute sich nicht so sehr über die beiden Beutestücke, sondern darüber, dass er es geschafft hatte, dem Schläger ein Schnippchen zu schlagen.
Er verschloss den Deckel wieder und ruhte sich für einige Augenblicke aus. Zack dachte darüber nach, ob er noch weiter über den Friedhof laufen oder dieses Areal lieber aufgeben sollte. Er hatte in dem großen Abfallkorb schon nichts gesehen und würde auch in den kleineren kaum etwas finden. Das lohnte sich nicht. Eigentlich war es spät genug, um Feierabend zu machen. Schlafen würde er bei seinem Freund, einem Geistlichen, der ihm eine Luftmatratze in die Sakristei gestellt hatte. Das war im Winter besonders gut.
Zack ging noch nicht.
Er wartete und fragte sich, warum er wartete. Der Blick glitt über sein Bike, das an einer kleinen Mauer lehnte, und er schaute auch weiter, weil er das Gefühl hatte, nicht mehr allein auf dem Gelände zu sein.
Das stimmte auch. Das Geräusch war plötzlich da. Zack zuckte kurz zusammen, denn damit hatte er nicht gerechnet. Ein Friedhof bei Dämmerung war in der Regel die Ruhe selbst.
Und jetzt das Geräusch …
Von einem Tier
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