Die Spitze des Eichbergs
Die Kanonen kündigten allesamt, und es ging das Gerücht um, viele Spieler hätten bewusst auf Abstieg gespielt, weil auf diese Weise ihre Verträge gelöst wurden, da sie schon längst bessere mit anderen Vereinen in der Tasche hätten. Willy Schulz ging unter sagenhaft guten Bedingungen nach Hamburg. Als dies bekannt wurde, setzten sich einige Schalker Anhänger demonstrativ auf Stühlen vor seine Kneipe in Günnigfeld und tranken das Bier, das sie ebenso demonstrativ in einer gegenüber liegenden Trinkhalle gekauft hatten. Willy Schulz dazu: »Dat wa mich egal. Die Trinkhalle gehörte mich auch.« Egon Horst ging ebenfalls zum HSV, Hans Nowak wechselte zu den Bayern, Stan Libuda sogar nach Dortmund.
Bloß weg von Schalke: Willy Schulz, Stan Libuda und Hans Nowak
STANDING OVATIONS
Aber nun kam unter den vielen, fast traditionellen Skandalen einer, der sich zum Segen Schalkes auswirkte. Hertha BSC, durch das Fassungsvermögen des Olympiastadions plötzlich einer der reichsten deutschen Vereine geworden, hatte so unverschämt hohe Summen (auch verbotene Handgelder) beim Einkauf der Spieler gezahlt, dass der DFB sich verpflichtet fühlte einzugreifen. Hertha wurde mit einem Zwangsabstieg bestraft, und es gab wieder einen der berühmten DFB- Eiertänze, wie man die Bundesliga durch die Hertha-Lücke auffüllen konnte. Wie zwiespältig hierbei wieder das Verhalten des DFB war, bewies die Tatsache, dass den Enthüllungen der Berliner, die Verstöße auch bei allen anderen Bundesligisten öffentlich machten, nicht einmal nachgegangen wurde.
Der Tabellenfünfzehnte, der Karlsruher SC, war natürlich gerne bereit, den Platz der Berliner zu übernehmen - was dieser auch genehmigte. Doch nun protestierte Schalke: Wenn der sportliche Abstieg nicht zählte, so müsste auch Schalke in der Liga bleiben. Zu Hilfe kam den Schalkern dabei Ministerialrat Dr. Klein vom Westdeutschen Spielverband. Zwar war der Mann kein Schalke-Fan, aber im DFB-Gerangel der Länder vertrat er den Standpunkt des Westens in einer glänzenden Rede: Eine Bevorzugung der Badener wäre ungerecht. Und weil eine Bundesliga ohne Schalke eben doch nur die Hälfte wert wäre, überzeugte er den DFB-Bundestag in Barsinghausen, der sich nach der eigenen Entscheidung minutenlang selbst beklatschte. In Schalke feierte man die »Rückkehr« wie die achte Meisterschaft.
ZITTERSAISON 1965/66
Die Bundesliga wurde auf 18 Vereine aufgestockt, und für Hertha BSC wurde die Berliner Tasmania neben den beiden regulären Neulingen Bayern München und Borussia Mönchengladbach aufgenommen. Im Zeitalter der Berlin-Sondermarken, kurz nach dem Mauerbau, musste aus »politischen« Gründen eine Berliner Mannschaft dabei sein. Die Tasmania-Spieler wurden sechs Wochen vor Beginn der Saison aus dem Urlaub zurückgeholt. Selbst das Radio beteiligte sich an der Rückrufaktion.
Viel besser als die Tasmanen, die mit ihrem Negativrekord von 8:60 Punkten Bun-desligageschichte schrieben, waren allerdings auch die Schalker nicht gerüstet. Manfred Kreuz und Günter Herrmann waren die einzigen Routiniers, die geblieben waren. Rausch und Becher bildeten in der Abwehr noch etwas Rückhalt, alle anderen waren neu und gerade noch Amateure gewesen. Fichtel, Neuser, Pyka, Pliska hießen die Unbekannten. Niemand wusste, wie dieser zusammengewürfelte Haufen, immer noch trainiert von Fritz Langner, den Klassenerhalt schaffen sollte. Nur Ernst Ku-zorra glaubte an den Erfolg: »Ich bin froh, dass die Stars aus unserer Mannschaft heraus sind. Während früher nur auf's Geld geschaut wurde, kommt es unseren jungen Leuten in der Hauptsache auf das Fußballspielen an. Ich halte unsere jetzige Mannschaft kämpferisch und moralisch sogar für stärker.« Er sollte recht behalten. Die Mannschaft kämpfte, aber trotzdem gab es erst im achten Spiel den ersten Sieg gegen den HSV.
In der Rückrunde musste Schalke sogar eine 0:7-Niederlage gegen den Erzfeind aus Dortmund hinnehmen - die höchste in der Geschichte des Derbys. Bis zum 32. Spieltag war die Abstiegsgefahr nicht gebannt. Aber die Schalker Fans verließen ihre Mannschaft nicht. Wieder einmal bewährte sich das beharrliche »Trotzdem« der Anhänger. Die Atmosphäre in der Glückauf-Kampfbahn war mit der heutigen Plastik-Bundesliga nicht zu vergleichen. Es gab keine bösen Sprechchöre gegen den Gegner, keine Pfiffe, wenn mal ein Fehlpass gespielt wurde. Die Gesänge »Aber eins, aber eins, das bleibt besteh'n, der FC Schalke wird nie untergeh'n«
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