Die Spur der Hebamme
Johanna?, dachte Marthe voller Angst.
Und Clara?
»Vor Richenza musst du dich in Acht nehmen«, warnte Hedwig leise. »Unter all den Heuchlern hier habe ich selten jemanden erlebt, der im Herzen so eiskalt ist.«
»Ich weiß«, entgegnete Marthe genauso leise. »Aber Ihr solltetEuch noch viel mehr vor ihr in Acht nehmen. Sie beobachtet Euch … Sie sucht nach etwas, das sie gegen Euch verwenden kann …«
»Wer tut das nicht?«, sagte Hedwig und schloss resigniert die Augen.
Am Morgen wusste Marthe, was sie zu tun hatte. Sie selbst durfte noch keine Kirche betreten, denn nach der Fehlgeburt war sie immer noch nicht wieder eingesegnet. Sie hatte keine Beichte ablegen können, als sie stumm gewesen war.
Noch vor dem Frühmahl kniete sie vor der Tür der Kathedrale nieder, während Christian hineinging, um eine Kerze zu stiften. Jeder sollte sehen, dass sie Gott dafür dankten, Marthe die Sprache genau in dem Moment zurückgegeben zu haben, als die Markgräfin ihre Hilfe am dringendsten benötigte.
Als Christian aus der Kirche trat und ihr aufhelfen wollte, kam ein Priester auf sie zu.
»Der ehrwürdige Bischof wünscht dich zu sprechen, meine Tochter«, sagte er zu Marthe. »Folge mir.«
Christian machte Anstalten, sie zu begleiten, doch der Priester hielt ihn zurück.
»Der Bischof wünscht sie allein zu sehen.«
Schweigend bezog Christian Posten vor dem Bischofspalast, bereit, dort hineinzustürmen, wenn seine Frau nicht bald wieder herauskäme.
Ihm war, als ob die Zeit überhaupt nicht verstreichen würde. Winzige Schneeflocken fielen auf seinen Umhang und färbten seine Schultern allmählich weiß.
Geschäftig wirkende Menschen hasteten an ihm vorbei, von der Kälte getrieben, und schienen ihm im dichter werdenden Schneefall kaum Beachtung zu schenken. Dennoch wusste er sich von mehreren Seiten beobachtet. Als er aus dem Augenwinkelsah, dass sich zwei der Beobachter langsam auf ihn zubewegten, wappnete er sich, denn er hatte sie längst erkannt: Conrad und Berthold, die Herren der beiden Nachbarorte von Christiansdorf und erklärte Anhänger Randolfs.
Kurz vor ihm machten sie halt.
»Wartest du, dass der Bischof beschließt, dein Weib doch noch zu brennen? Dann musst du hier wenigstens nicht mehr frieren«, meinte Berthold, der Stämmigere von beiden, mit abfälligem Spott, während der andere hämisch zu lachen begann.
Berthold hatte die letzten Worte noch nicht zu Ende gesprochen, da wirbelte Christian schon herum und setzte ihm mit der Linken seinen Dolch an die Kehle, während er mit dem Schwert in der Rechten Conrad in Schach hielt, bevor der seine Waffe ziehen konnte.
»Auf die Knie – und dann nimmst du jedes einzelne Wort zurück«, forderte er Berthold hasserfüllt auf.
Der war zwar erbleicht, dennoch kam er dem Befehl nicht nach.
»Du kannst uns nicht beide abstechen, noch dazu vor aller Augen und unmittelbar vor der Pforte zum Bischofspalas«, sagte er mit schlecht gespielter Gelassenheit.
»Dann lass es uns am üblichen Ort austragen, jetzt gleich«, antwortete Christian schroff. Es war, als ob mit einem Mal die ganze angestaute Wut der letzten Monate aus ihm herauswollte.
Berthold wechselte einen unsicheren Blick mit Conrad. Er wusste, dass er im Zweikampf gegen Christian keine Chance hatte. Bei ihrer letzten Auseinandersetzung, die allerdings schon ein paar Jahre zurücklag, hatte Christian nicht mehr als zwei Hiebe gebraucht, um ihn zu entwaffnen. Doch er konnte sich auch nicht hier vor aller Augen zum Narren machen und auf dem Burghof niederknien, nachdem ein einzelner Mann zwei gestandene Ritter überwältigt hatte.
Christian verlor allmählich die Geduld. In einem hatte Berthold recht: Er konnte hier auch nicht länger herumstehen und ausgerechnet vor dem Bischofspalast die beiden mit Waffen in Schach halten.
»Ihr zwei gegen mich allein«, bot er an, ohne eine Miene zu verziehen. »Drei Männer, vier Schwerter.«
»Einverstanden«, sagte Berthold, nachdem er erneut einen Blick mit Conrad gewechselt hatte.
Christian steckte Schwert und Dolch wieder in die Scheiden.
»Warte hier auf Marthe«, rief er Lukas zu, der sich ihnen genähert hatte. Lukas nickte, zog sein Schwert und reichte es Christian, damit wenigstens das Verhältnis der Waffen in diesem Kampf gerecht war.
Schweigend gingen Conrad, Berthold und ihr Herausforderer über den Burghof, durch das Tor zu dem Platz vor der Stadt am Elbufer, an dem die Zweikämpfe ausgetragen wurden, die weder vom Markgrafen
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