Die Spur der Hebamme
noch vom Bischof gesehen werden sollten. Schließlich hatten die beiden solche Kämpfe verboten: der eine, weil er der Meinung war, seine Ritter sollten gegen seine Feinde und nicht gegeneinander antreten, der andere, weil die Kirche einen Bann über Turniere verhängt hatte und dafür sogar mit Exkommunikation drohte.
Natürlich war das Geschehen trotz des dichter gewordenen Schneefalls nicht unbemerkt geblieben. Mehrere Ritter, die mitbekommen hatten, was sich hier abgespielt hatte und was folgen würde, begleiteten sie als Zuschauer und Zeugen und begannen, Wetten über den Ausgang des ungleichen Kampfes abzuschließen.
Währenddessen betrat Marthe mit zittrigen Knien den Bischofspalast.
Jeder Schritt hier erinnerte sie an die furchtbaren Dinge, die siein diesen Mauern erlitten hatte. Die Wunden auf ihrem Rücken schienen auf einmal wieder zu bluten, ihre Handgelenke schmerzten, als würden sie von rostigen Ketten wundgescheuert, und ihr Leib zog sich zusammen, als würde sie gleich noch einmal ein Kind verlieren.
Aber sie hatte gewusst, das dieser Moment unausweichlich war. Dies war der Preis dafür, dass sie Hedwig beigestanden hatte. Der Preis, den sie zu zahlen hatte, wenn sie weiterleben wollte, ohne erneut in die Fremde fliehen und ihre Arbeit aufgeben zu müssen.
»Tritt näher, meine Tochter«, sagte Bischof Martin in huldvollem Ton und streckte ihr die Hand entgegen, damit sie seinen Ring küssen konnte.
Sie kniete mit gesenkten Augen nieder und drückte ihre Lippen leicht auf den kostbaren Saphir. Die Anrede und dass er ihr als Gnadenbeweis den Ring hinhielt, waren wohl Zeichen dafür, dass sie von ihm vorerst keine Strafen zu erwarten hatte. Doch Bischof Martin würde nicht eher ruhen, bis er hinter ihr Geheimnis gekommen war.
Unter halb gesenkten Lidern beobachtete sie den hageren, scharfäugigen Bischof, der sie betrachtete wie ein Adler die Beute.
»Wie mir berichtet wurde, hast du die Sprache wiedergefunden, meine Tochter«, begann er. In seiner Stimme lag etwas Lauerndes.
»Ja, Eminenz«, sagte sie, während sie den Blick weiter demütig gesenkt hielt.
»Die Dame Hedwig betrachtet es als besondere Gnade Gottes, dass dies ausgerechnet in dem Moment geschah, als sie deine Hilfe benötigte«, fuhr der Bischof fort.
Sie wusste, auch ohne ihn anzusehen, dass er sie nicht aus den Augen ließ und jede ihrer Regungen genau beobachtete. Da er ihr keine Frage gestellt hatte, schwieg sie.
»Also bist du auch in der Lage, die Beichte abzulegen, damit du wieder eingesegnet werden und die heilige Messe besuchen kannst?«
»Ja, Eminenz.«
Diese Antwort schien ihn sehr zufriedenzustellen.
»Das freut mich zu hören.«
Der Bischof machte eine winzige Pause, dann fragte er blitzschnell: »Sag, meine Tochter, ist mit der Sprache auch die Erinnerung an den Prozess und das Gottesurteil wiedergekehrt?«
»Nein, Eminenz«, gab sie demütig und dennoch entschlossen zurück.
Sie hatte dieses Gespräch lange vorhergesehen und sich jede Antwort zurechtgelegt. Sicher war es eine große Sünde, einen Bischof zu belügen. Aber wenn er glaubte, dass sie sich wieder erinnerte, was alles geschehen war, würde er sie wahrscheinlich heimlich aus dem Weg räumen lassen. Es durfte nie bekanntwerden, welche Ungeheuerlichkeiten sich einer seiner Kleriker gegenüber einer Edelfreien geleistet hatte. Ohne eindeutige Schuldbeweise durfte das nicht einmal die Kirche. Wäre sie eine einfache Dörflerin gewesen, hätte es keine Rolle gespielt.
Und sie durfte Ekkehart nicht ausliefern. Schließlich schuldete sie ihm ihr Leben.
Sie sah nicht auf, spürte aber den Blick des Bischofs auf sich wie die Spitze eines Dolches.
Martin überlegte. Konnte er diesem Weib trauen? Er hätte nur zu gern gewusst, wie sie aus dem Verlies entkommen war. Alle seine Nachforschungen hatten nichts ergeben. Seinen ersten Verdacht, Ritter Christian oder einer seiner Freunde hätten sie heimlich befreit, konnte er getrost fallen lassen. Deren Verzweiflung war echt gewesen, so gut kannte er sich bei Menschen aus, sonst wäre er nie so hoch aufgestiegen.
Immerhin, solange sie behauptete, sich an nichts zu erinnern,würde sie auch keine Klage wegen der rüden Behandlung erheben. Er musste sich diesen Eiferer wirklich einmal vornehmen. Einer Edelfreien die Sachen vom Leib zu reißen, sie mit Ruten zu streichen und dann in ein Büßergewand zu stecken, ohne dass er auch nur einen einzigen handfesten Beweis gegen sie in der Hand hatte – das
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