Die Spur der Hebamme
hatte?
Dietrich stand auf und schenkte sich und seinem Gast Wein ein – eine besondere Geste, die Christian zu schätzen wusste.
»Mein Bruder ist in einer schwierigen Lage«, fuhr Dietrich nun ruhig fort. »Randolf hat im Heiligen Land den Löwen beschützt und ihn auf der Heimreise nach Braunschweig begleitet. Otto will ihn nicht an seinen Rivalen verlieren, der ihm ein großzügiges Lehen bieten könnte. Und er will die Reliquie in Meißen haben. Deshalb wird er ein altes Angebot an Randolf erneuern. Ihr werdet wissen, was ich meine.«
Christian stellte mit versteinerter Miene seinen Becher ab, ein wenig zu hart. Das Geräusch hallte durch den Raum.
Doch Dietrich ließ sich davon nicht beirren, lächelte sogar. »Die Dame Hedwig hat sich mit mir zu einer kleinen Verschwörung zusammengefunden, um Euch diese Warnung zukommen zu lassen und Eure Lage erträglich zu gestalten. Sie kann nicht mit Euch unter vier Augen sprechen, ohne ihren Ruf zu gefährden, deshalb bat sie mich darum. Wir beide haben Otto einige Sicherheiten für Euch abgerungen. Ich hoffe, Ihr enttäuscht uns nicht.«
»Nein, mein Herr«, sagte Christian hölzern. »Ich danke Euch.«
»Nach dem Abendläuten wünscht mein Bruder Euch in seinem Quartier zu sehen.«
»Ich werde dort sein.«
»Gut. Eine Bitte habe ich noch … abgesehen davon, dass Ihrnicht gleich losstürzt und Euer Schwert in Randolfs Herz bohrt, sofern der überhaupt eines hat.«
»Was wünscht Ihr?«
»Ihr wisst sicher, dass mein Sohn Konrad inzwischen nicht mehr Page, sondern Knappe am Hof meines Bruders in Meißen ist. Aber seine Fortschritte mit dem Schwert lassen zu wünschen übrig. Ich würde mich freuen, wenn Ihr ihm auf diesem Gebiet einiges beibringt, sooft Ihr Zeit dazu findet.«
Christian verneigte sich tief. »Wenn Ihr erlaubt, werde ich ihn gleich suchen.«
Mit weit ausholenden Schritten und so finsterer Miene, dass die Entgegenkommenden ihm hastig oder gar ängstlich auswichen, ging Christian zu dem Platz, wo er bei seiner Ankunft etliche der Knappen bei Waffenübungen gesehen hatte. Einer der Jungen versuchte gerade, vom Pferd aus mit der Lanze eine Stechpuppe aus Stroh zu treffen, die anderen standen beieinander und musterten den unerwarteten Besucher.
Lukas und Arnulf, Ottos in Ehren ergrauter Waffenmeister, beaufsichtigten die Übungen und sparten nicht mit Kritik.
Christian wandte sich an Arnulf. »Markgraf Dietrich wünscht, dass ich seinem Sohn einige zusätzliche Lektionen mit dem Schwert erteile«, verkündete er.
»Weshalb?« Konrad, Dietrichs einziger ehelicher Sohn, war aus der Gruppe der Knappen vorgetreten und musterte Christian misstrauisch.
Dieser war nicht gerade in rücksichtsvoller Stimmung, dennoch wollte er den Jungen nicht vor seinen Altersgefährten bloßstellen. »Nach den Gründen befragt Ihr wohl besser Euren Vater selbst«, sagte er knapp.
»Weil Ritter Christian eine Vorliebe für Schwächlinge hat, du Schwächling«, erklang eine abfällige Stimme.
Christian hielt nach dem Rufer Ausschau und erkannte Albrecht, den ältesten Sohn von Markgraf Otto. Er war vierzehn Jahre, hochaufgeschossen und wäre hübsch zu nennen gewesen, wäre sein Gesicht nicht trotz seiner Jugend schon durch einen verächtlichen Ausdruck entstellt. Als Christian ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war er noch ein paar Jahre jünger gewesen, aber damals schon unbeherrscht und grausam gegen seinen Bruder.
Albrecht wurde am Hof von Hedwigs Bruder Otto von Brandenburg ausgebildet, während sein jüngerer Bruder Dietrich Page im Gefolge des Kaisers war. Möglicherweise sollte Albrecht bei diesem Zusammentreffen in Goslar Ottos Waffenmeister seine Fortschritte im Umgang mit dem Schwert vorführen. Aber wie es schien, hatte die Zeit als Page und Knappe am Hof seines mächtigen Großvaters und nach dessen Tod bei seinem Onkel seine schlechten Eigenschaften nicht gemäßigt, sondern noch verstärkt.
Gott bewahre uns vor dem Tag, an dem dieser missratene Bengel einmal über die Mark Meißen herrscht, dachte Christian. »Seid Ihr wirklich so gut mit dem Schwert?«, murrte Konrad halblaut, der wohl Albrechts verächtlichen Einwurf nicht unwidersprochen stehenlassen wollte.
Christian, ohnehin aufs äußerste gereizt, verzichtete auf eine Antwort und gab Lukas das Zeichen, ihm gegenüberzutreten. Lukas hatte das Waffenhandwerk bei Christian gelernt und war ein begabter Schüler gewesen. Er kannte und beherrschte alle Manöver und Finten, mit denen Christian
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