Die Spur der Hebamme
selbst überlegen scheinende Gegner besiegt hatte. Bis zu diesem Augenblick hatte er geglaubt, seinem Lehrmeister ebenbürtig geworden zu sein. Doch jetzt hieb Christian mit solcher Wut und Wucht auf ihn ein, dass er ihn kaum wiedererkannte. Was ist auf einmal in ihn gefahren? Will er mich töten?, dachte der Jüngere. Obwohlsich Lukas nach allen Regeln der Kunst schlug und manchen gestandenen Kämpfer längst besiegt hätte, trieb Christian ihn immer mehr in die Enge und entwaffnete ihn schließlich mit einem gewaltigen Hieb.
Mit bloßen Händen versuchte Lukas, den Rasenden zur Besinnung zu bringen. »Was ist los mit dir, Mann?«, zischte er ihm zu, als Christian seine Umgebung endlich wieder wahrzunehmen schien.
»Rate, was ich gerade erfahren habe«, sagte er grimmig und steckte sein Schwert schwer atmend in die Scheide. »Einzelheiten erzähle ich dir später.«
Dann blickte er sich unter den Knappen um, die ihn sprachlos anstarrten, manche mit offenem Mund. Solch einen schnellen und wuchtigen Kampf hatten sie noch nie gesehen, nicht einmal bei Turnieren.
Er wandte sich an Konrad. »Ist Eure Frage damit beantwortet?« Dietrichs Sohn brauchte einen Moment, bis er antworten konnte. »Es wird mir eine Ehre sein, von Euch zu lernen«, stammelte er.
Währenddessen ging Markgraf Dietrich zur Kapelle, wo eine einzelne Frau mit schlanker Gestalt und kunstvoll geflochtenem blonden Haar vor dem Altar kniete.
Dietrich bekreuzigte sich und kniete neben ihr nieder.
Sie drehte den Kopf nicht, aber sie wusste genau, wer an ihrer Seite war.
»Ich habe mit Christian gesprochen«, sagte er leise, während er eine Kerze entzündete.
»Gott sei gepriesen! Vielleicht können wir neues Unheil vermeiden«, stieß Hedwig flüsternd hervor, ohne ihn anzusehen. Als er die Kerze aufstellte, berührte seine Hand wie zufällig für einen kurzen Moment die ihre. Ein Schauer ging durch ihrenKörper. Sie konnte nicht anders, als ihn anzusehen, traf seinen Blick und erschauderte erneut.
»Lass uns endlich aufhören, die Gefühle zu leugnen, die uns schon so lange quälen«, sagte er kaum hörbar und legte seine Hand auf ihre.
Sie senkte den Blick, aber sie zog ihre Hand nicht weg.
Eine Kapelle ist wohl der denkbar schlechteste Ort, um einen Ehebruch zu verabreden. Das war der einzige klare Gedanke, den sie fassen konnte. In ihr brodelten die Gefühle, von Erschrecken über Freude bis zu Angst.
»Gibt es eine Magd oder jemanden unter deinen Kammerfrauen, der du völlig vertrauen kannst?«, flüsterte Dietrich, nachdem er seine Hand wieder unauffällig neben ihre gelegt hatte.
»Susanne. Sie ist mir treu ergeben und würde mich nie verraten«, erwiderte sie stockend.
»Sag Otto, du fühlst dich nicht wohl und er soll ohne dich zur Zusammenkunft mit dem Kaiser gehen. Schick die Kammerfrauen weg, borg dir Susannes Umhang und komm in das erste Gasthaus am Liebfrauenberg. Ich werde dort warten«, sagte Dietrich leise. Dann bekreuzigte er sich, stand auf und ging.
Hedwig atmete tief durch. Otto würde ihr seinen Dolch ins Herz stoßen, wenn er herausfand, dass sie ihn betrog. Aber das war ihr gleichgültig. Sie liebte Dietrich. Sie liebte ihn schon lange, auch wenn sie es sich bis eben nicht hatte eingestehen wollen.
Hedwig glaubte nach jedem Schritt, nicht weitergehen zu können, als sie im Umhang ihrer Magd und mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze durch die Gassen zum Gasthaus lief. Und doch schienen ihre Füße einen eigenen Willen zu haben.
Ihr Herz hämmerte, als sie vor der Tür stand. Noch konnte sie umkehren. Noch war nichts geschehen.
Sie trat ein und sah, dass Dietrich sie bereits in der Schankstube erwartete. Er erhob sich sofort, nahm ihren Arm und führte sie schweigend die Treppe hinauf in eine der Kammern. Es musste ihn ein Vermögen gekostet haben, zu dieser Zeit ein Zimmer aufzutreiben, da es in der Stadt wegen des Hoftages von Gästen nur so wimmelte. Andererseits waren es die Wirte wohl gewohnt, dass bei solchen Gelegenheiten Besucher, die unerkannt bleiben wollten, ein verschwiegenes Plätzchen für ein Zusammentreffen suchten.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr, dachte sie, als sie die Kammer betreten hatte. Jetzt bin ich eine Ehebrecherin. Noch dazu eine, die sich in schlimmster Blutschande ihrem Schwager hingibt. Die Kirche unterschied nicht zwischen Bluts- und angeheirateter Verwandtschaft, auch wenn es nicht ungewöhnlich war, dass eine Frau nach dem Tod ihres Mannes umgehend mit dessen Bruder
Weitere Kostenlose Bücher