Die Spur des Tieres
dieser Nacht, denn Seele um Seele entstieg rings um ihn her ihrem irdischen Kerker, kaum daß der letzte Funke von Leben darin erloschen war.
Er wußte nicht, wie lange er schon so kauerte, nachdem er von der Empore gesprungen war und sich instinktiv zwischen zwei Bänken verkrochen hatte. Denn die Heiliggeistkirche hatte sich in der Dauer seines Sprunges in ein Schlachtfeld verwandelt; ein Kampf war entbrannt, der unweigerlich auch ihm zum Verhängnis werden würde, wenn er es auch nur wagte, den Kopf zu heben.
So bekam Tobias in seinem notdürftigen Versteck nicht alles mit von dem, was um ihn herum vorging. Er empfand es als Gnade. Denn was er sah, genügte vollauf, um das entsetzliche Ausmaß und die barbarische Härte dieses Schlachtens zu erahnen. Und was er hörte, ergänzte das Bild in seiner Vorstellung mit grausigen Details.
Mönche in langen, erdfarbenen Kutten waren in das Gotteshaus eingefallen wie die Heerscharen des Krieges selbst. Nicht eine Sekunde hatten sie gezögert, auf die in den Bänken hockenden Menschen loszugehen, mit blankgezogenen Klingen, über die Schatten krochen wie lebende Dinge - und darüber hinaus mit Kräften, die sich himmelweit unterschieden von purer Waffengewalt.
Tobias' zorngeborene Entschlossenheit, ins Geschehen hier unten einzugreifen, war in ihrem Ansturm vergangen wie ein Kerzen-flämmlein.
Noch ehe die hier versammelten Heidelberger, die Tobias bis vor kurzem samt und sonders noch für ehrbare Leut' gehalten hatte, auch nur begriffen hatten, daß sie angegriffen wurden, waren die ersten schon tot hingesunken. Und bevor sie sich endlich zur Wehr setzten, hatte der Tod schon die nächsten ereilt.
Erlöst... Tobias fröstelte unablässig.
Ein ganz eigentümlicher Schrei zog Tobias' Aufmerksamkeit auf sich. Vordergründig klang er nach Wut und schien erfüllt von eisernem Willen, ein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Dahinter jedoch, als stoße ihn eine andere, eine unterdrückte Stimme aus, meinte Tobias Verzweiflung zu hören.
Kaspar Henninger war es, der da so seltsam wie mit zwei Zungen schrie. Einem Gespenst gleich, warf er sich durch eine der längst schon deckenhoch gewachsenen Spinnweben. In den hochgereckten Fäusten hielt er einen eisernen Kerzenständer, mannslang beinahe, und damit rannte er los auf den Angreifer, der ihm am nächsten stand.
Der junge Mönch, mit dunklem Haar und fremdländischen Zügen, mußte im Hinterkopf Augen haben. Denn er wirbelte genau in dem Moment herum, als Henninger seine behelfsmäßige Waffe niedersausen ließ. Der Hieb hätte dem anderen ohne Zweifel den Schädel zerschlagen. So aber kreuzte seine Klinge die Bahn und lenkte den Schlag ab. Funken stoben, als das Eisen Splitter aus dem Steinboden schlug.
Der Angegriffene holte zum Stich aus. Mitten in die Brust würde er dem Henninger die Klinge treiben, wie um ihm die verfluchte Seele aus dem Leib zu schneiden.
Doch der Streich des Kuttenträgers ging ins Leere.
Wie an einem unsichtbaren Seil in die Höhe gerissen, verlor Kaspar Henninger den Boden unter den Füßen. Schreiend und strampelnd schoß er auf. Gleich mußte sein Schädel von unten gegen die Kanzel schlagen, und die Gewalt würde reichen, ihm dabei den Hals zu brechen .!
Doch dazu kam es nicht. Etwas Glühendes von der Länge einer Hand sirrte auf Henningers Brust zu und tötete ihn, noch bevor sein Kopf oben anschlug. Ein Seufzen wehte ihm noch von den Lippen, das Tobias selbst über dem Kampfeslärm ringsum vernahm. Die ungeheuerliche Kraft ließ Kaspar Henninger aus ihren Händen. Schwer stürzte der Leichnam zwischen die Bänke.
Erst jetzt gewahrte Tobias Stifter das Weib in der Kutte, das nicht weit entfernt stand und gerade eine Armbrust sinken ließ. Zwischen ihr und dem Mann, dem der Henninger den Schädel hatte einschlagen wollen, ging ein stummer Blick hin und her; ganz kurz nur, aber spürbar beseelt von etwas, das Tobias den immerwährenden Jenseitshauch für einen Moment wenigstens vergessen ließ.
Dann wurde er von neuem abgelenkt. Von einem Krachen und Splittern, das noch in derselben Sekunde in den dumpfen Laut eines schweren Aufpralls mündete.
Die Bänke links und rechts, die Tobias bislang als Deckung gedient hatten, zerbarsten.
Hastig wandte er sich im Hocken um und sah in das leblose Gesicht eines betörend schönen Mädchens - - dem die linke Hand abgeschlagen worden war!
*
Blut pulste aus dem Stumpf und sammelte sich auf dem kalten Steinboden zu einer dunklen, dampfenden
Weitere Kostenlose Bücher