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Die Spur des Tieres

Die Spur des Tieres

Titel: Die Spur des Tieres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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so geheime Regung, die sich dort, wohin er blickte, auch nur andeutete!
    »Mutter?«
    Beth schrak zusammen, als wäre nicht die Stimme ihres Sohnes, sondern ein Hagel eisiger Splitter in ihr Gehör gedrungen. Vielleicht entsetzte es sie so extrem, weil sie einen absurden Moment lang fürchtete, dieses von einem baldigen Tod gezeichnete Wesen, in dessen blutunterlaufenen Augen sich nur noch ein zaghafter Lebensfunke spiegelte, könnte ihre Gedanken lesen.
    Doch diese Furcht blieb weiter unbeweisbare Spekulation. David tat nichts mehr, was den Verdacht geschürt hätte, aber auch nichts, um ihn zu widerlegen.
    Er sah sie nur an.
    Beth seufzte tief: »Was hat er dir nur angetan?«
    »Er?« Für einen Moment wirkte Davids Blick verhangen, als würde er über etwas nachsinnen, was nicht hier und jetzt, sondern vor langer Zeit geschehen war. Dann schüttelte er langsam den Kopf, und trotz dieser Langsamkeit glaubte Beth ein Knirschen zu hören, als riebe Knochen auf Knochen.
    »Du«, fügte ihr Sohn schließlich hinzu, »du hast mir das angetan, Mutter, nicht er. Er hat es nur vorhergesehen. Und er hat mir die Frist genannt - als ich reif genug war, es zu ertragen. Ich kenne Tag und Stunde meines Todes, aber ich fürchte ihn nicht. Der Tod ist nicht das Ende. Nicht für mich.«
    »Was ... heißt das? Was hat er dir erzählt? Was weißt du überhaupt von ihm? Ist er tatsächlich der, für den ich ihn halte?«
    Beth erzitterte in Erwartung von Davids Antworten.
    Kurz schweifte ihr Blick von ihm ab. Wo waren sie überhaupt?
    Sie hatte den Mann, der sich Charles Belier nannte (Widder, rief sich Beth in Erinnerung), aus der tödlichen Kurve der herabsausenden Klinge gerissen - aber danach, draußen vor der Kirche, hatte plötzlich er sie vom Ort des Geschehens weggelenkt. Hatte ihr den Weg die Hauptstraße hinab bis zu einem großen Platz gewiesen, an dessen Rand sich ein mehrstöckiges Haus erhob.
    In der steinernen Fassade hatte Beth die von Künstlerhand eingemeißelten Porträts eines Mannes und einer Frau erblickt. Bei dem männlichen Konterfei handelte es sich unzweifelhaft um David in bereits fortgeschrittenem Alter, die Frau jedoch war Beth unbekannt.
    »Ist das - dein Geschäft?« fragte sie, da ihr vergreister Sohn nicht sogleich auf die gestellten Fragen einging.
    Er nickte. Wieder knirschte es.
    Das Geräusch, obgleich kaum wirklich laut, schien von den Wänden nicht nur zurückgeworfen, sondern im Widerhall gar noch verstärkt zu werden. Das ganze Viertel - die ganze nächtliche Stadt! -mußte es hören.
    Beth fröstelte. Ihre Knochen waren kalt wie Porzellan. Waren sie auch so spröde und zerbrechlich geworden . wie die Davids?
    Sie konnte sich nicht länger der Wahrheit verweigern!
    Ihr Sohn war ein Greis. Sein Leben, das sie ihm unter Schmerzen geschenkt hatte, neigte sich bereits dem Ende zu. Doch vielleicht gab es einen Weg .
    »Ich kann dir helfen«, sagte sie, ein wenig verwundert und noch mehr bestürzt über ihre eigenen Worte.
    Sie waren umgeben von Tuchballen, von gefärbten Stoffen und solchen, die in ihren Naturton behalten hatten. Hatte David dieses Kontor als Scheinexistenz aufgebaut, allzeit in Erwartung des Augenblicks, den sein Vater ihm dereinst prophezeit hatte?
    »Helfen?« wiederholte David. »Wobei?«
    Er umfaßte immer noch ihre Hand.
    Obwohl er ihr gerade vorgeworfen hatte, daß sie die Schuld an seiner Vergreisung trug, schien er sie trotzdem keineswegs zu hassen.
    Durch die Entstellungen des Alters hindurch versuchte Beth, einen Blick auf ihn zu werfen. Auf die Person, die sie vor anderthalb Jahrzehnten erst im Arm gewiegt und an ihren Brüsten gesäugt hatte.
    Und tatsächlich, es schien zu gelingen! Die abstoßende Kruste brach auf. Beth wußte kaum, wie ihr geschah, aber mit einemmal schmeckte sie Tränen auf ihrer Zunge. Tränen, die ihre Wangen herabliefen und ihre Lippen näßten.
    »Ich kann«, sagte sie mit halb erstickter Stimme, »dir vielleicht wiedergeben, was du so früh schon verloren hast!«
    »Was?«
    »Deine ... Jugend! Dein Körper mag gealtert sein - aber deine Seele ist immer noch jung! Sie ist erst sechzehn Jahre alt, David - sechzehn Jahre! Das Schicksal, nicht ich, hat dich um alles betrogen, was einem Menschen an Schönem widerfahren kann. Aber das muß nicht so bleiben. Noch ist Zeit!«
    »Zeit?« echote er verständnislos, nein, schlimmer: abwehrend.
    »Ja!« Ihre Stimme wurde schrill vor Erregung. Sie suchte die Frische eines Sechzehnjährigen in den Augen des

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