Die Spur des Verraeters
fehlschlug. »Vielleicht hat er Schwierigkeiten, aus der Stadt zu kommen. Aber er wird bestimmt bald hier sein.«
Als Kommandant Ohira in den Verhandlungssaal gerufen worden war – unter dem Vorwand, er müsse seine Aussage vor den Richtern wiederholen –, hatte er den Ort preisgegeben, an dem die Schmuggler sich treffen wollten und sich einverstanden erklärt, die Männer des Tribunals zu dem Treffpunkt zu führen. Doch Ohiras Verhalten hatte Sano beunruhigt. Als er vor dem Podium kniete, hatte er wie ein Schatten seiner selbst gewirkt – ein Schatten, der sich jeden Augenblick in Nichts aufzulösen drohte. Sein Blick war durch Sano und die anderen hindurchgegangen, ohne Erkennen oder irgendwelche Empfindungen zu verraten. Doch Sano hatte keine andere Wahl, als Ohira zu vertrauen. Sein Leben und das Hiratas hing davon ab, dass die Schmuggler gefasst wurden, und Ohira stellte die einzige Verbindung zu diesen Verbrechern dar. Um nicht die Aufmerksamkeit bestechlicher Beamter zu erregen, die den Schmugglern eine Warnung zukommen ließen, hatte Kommandant Ohira sich nach dem Verlassen des Gerichtssaals wieder seinen alltäglichen Aufgaben zuwenden wollen, bis der Abend anbrach. Er hatte versprochen, in der Dunkelheit einen Diener zu schicken, der Sano und die anderen über eine geheime Wegstrecke zuerst in ein geschütztes Versteck führen sollte – in dieses Kiefernwäldchen; von dort wollte Ohira selbst die Gefährten zum Treffpunkt der Schmuggler geleiten.
Den Rest des Tages waren Sano, Hirata und die Mitglieder des Tribunals allein und abgesondert in der Villa geblieben, deren Eingangshalle als Gerichtssaal diente – unter dem Vorwand, die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit noch eine Zeit lang weiterzuführen. Damit alles geheim blieb, wurde niemandem erlaubt, das Haus zu verlassen oder zu betreten. Takedas Gefolgsleute hatten Sano und Hirata im Obergeschoss der Villa unter Bewachung gehalten, um eine Flucht zu verhindern. Diener hatten ihnen Bäder eingelassen, eine Mahlzeit aufgetragen und sie mit sauberer Wäsche und frischem Bettzeug versorgt. Hirata hatte geschlafen, Sano dagegen nicht; seine Anspannung war zu groß gewesen. Er hatte gehört, wie die beisitzenden Richter Segawa und Dazai ein Streitgespräch mit Takeda geführt hatten. Am Eingangstor der Villa hatten Abgesandte von Statthalter Nagai sich immer wieder nach dem Fortgang der Verhandlung erkundigt. Sano beobachtete durch ein Fenster, wie Takedas Gefolgsleute die Gesandten mit der Nachricht fortschickten, dass noch keine Entscheidung gefällt worden sei.
Die Stunden zogen sich dahin; der Tag wich dem Abend. Sano fragte nach Neuigkeiten über das holländische Segelschiff und erfuhr zu seiner Bestürzung, dass es noch immer angriffsbereit im Hafen lag. Das lange Warten erfüllte Sano mit Besorgnis. Würden seine Feinde den Plan durchschauen? Würde Ohira sein Versprechen nicht einhalten?
Dann, lange nach Einbruch der Dunkelheit, trat Takedas Leibdiener mit zwei schlichten dunklen Wappenröcken und zwei Paar Samuraischwertern ins Zimmer. »Mein Herr sagt, Ihr sollt das hier anlegen. Es wird Zeit.«
Sano weckte Hirata. Sie zogen die Sachen an und schnallten sich die Schwerter um. Die Gefolgsleute Takedas führten sie zur Hintertür, wo sie die drei Richter und den Leibdiener von Kommandant Ohira antrafen, einen älteren Mann.
»Das ist närrisch«, schimpfte Richter Segawa. Er und Dazai starrten Sano zornig an. »Takeda-san, diese Verbrecher werden uns töten und entkommen!«
In den Augen des obersten Richters funkelte eine jungenhafte Abenteuerlust, die vermutlich den Ausschlag für seine Entscheidung gegeben hatte. »Meine Männer werden schon dafür sorgen, dass uns nichts geschieht. Kommt jetzt.«
Sano folgte dem Diener Ohiras hinaus in die Nacht; hinter ihm kam Hirata, dem wiederum die drei Richter und vier Gefolgsleute folgten. Nagasaki, der frühere Piratenhafen, einst ein Ort rebellischer Verschwörungen und ehemals das Zentrum der im Verborgenen lebenden japanischen Christen, hatte selbst unter dem Tokugawa-Regime nicht alle seine Geheimnisse offenbart. Der Diener führte Sano und die anderen über eine Route, die wohl nur die ältesten Einwohner der Stadt kannten: Es ging durch gewundene Gassen und durch unterirdische Gänge, über Dächer hinweg, unter Brücken hindurch und den Fluss entlang. Immer wieder wichen die Gefährten patrouillierenden Soldaten aus. Stetig führte der Weg bergan. Sie gelangten aus der Stadt
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