Die Spur des Verraeters
Hauptmann Nirin. Dann wandte er sich an seine Kumpane. »Macht die Kisten wieder zu.« Schließlich zog er einen prall gefüllten Beutel unter seiner Schärpe hervor und reichte ihn Nirin.
»Gebt das Geld dem Chef«, sagte Nirin und wies mit der Hand auf den Japaner.
Der Holländer setzte sich in Bewegung und ging um die Kisten herum.
Sano schluckte. Es war nicht Huygens, sondern Vizedirektor deGraeff. Sano überkam eine tiefe Erleichterung, dass sein Vertrauen in Dr. Huygens doch kein Fehler gewesen war; zugleich empfand er Schuldgefühle, seinen Freund fälschlicherweise verdächtigt zu haben.
Dann setzte sich auch der Japaner in Bewegung, und Sano sah seine Vermutung bestätigt.
Der Mann hielt ein kleines, tragbares Schreibpult in den Händen; er vibrierte förmlich vor nervöser Erregung und zeigte ein blitzendes Grinsen. Es war Dolmetscher Iishino, der Holländisch sprach und dessen Anwesenheit erforderlich war, um mit den Barbaren verhandeln zu können. Iishino, der ›Chef‹ und Anführer des Schmugglerrings.
»Ja, das Geld bekomme ich«, sagte Iishino und stellte das Schreibpult zu Boden, eine flache, rechteckige Kiste mit leicht geneigtem, aufklappbarem Deckel. Dann legte er die Hände kelchförmig aneinander und beobachtete voller Gier, wie die Verbrecher ihm Goldmünzen hineinschütteten. »Danke, danke.« Kniend zählte er das Geld und legte die Münzen zu Häufchen zusammen. Die Verbrecher packten derweil das Schmuggelgut in die Kisten zurück. Dann stellten Abt Liu Yun, deGraeff und die japanischen Wachsoldaten sich nebeneinander vor Iishino auf.
»Für Vizedirektor deGraeff – als Dank für die Waren, die er und Direktor Spaen freundlicherweise nach Japan eingeführt haben«, sagte Iishino und reichte deGraeff dessen Anteil. Dann nahm er einen Pinsel, ein Tuschefässchen und ein kleines Buch aus dem tragbaren Schreibpult und trug die Bezahlung darin ein. »Für Abt Liu Yun, dass er uns die Benutzung seines Tempels gestattet und als unser Verbindungsmann zu den Schwarzhändlern gearbeitet hat.«
Liu Yun nahm das Geld, wobei er die rechte Hand im Ärmel seines Umhangs ließ, und stellte sich neben deGraeff, der seine Münzen zählte. Iishino wandte sich wieder der Beschäftigung zu, seine Helfershelfer zu entlohnen und die jeweilige Bezahlung in sein Rechnungsbuch einzutragen. »Für Hauptmann Nirin und die Soldaten von Deshima – für den Transport und die Bewachung der Waren.« Die Verbrecher hatten das Schmuggelgut inzwischen wieder verpackt und versiegelten nun die Kisten, während auch der letzte Wachsoldat von Iishino sein Geld bekam. Dann verschloss der Dolmetscher das Tuschefässchen. Die Rangfolge innerhalb der Schmugglerbande war ersichtlich, doch Sano wusste immer noch nicht, wer die Mörder von Jan Spaen und Pfingstrose waren. Aber er musste handeln, bevor die Schmuggler mitsamt ihrer Beute die Halle verließen. Sano hoffte nur, dass er Hirata Zeit genug gegeben hatte, sich vor der Eingangstür zu postieren.
»Gehen wir hinein«, sagte Sano zu Takeda.
Er zog sein Schwert, stieß die Tür auf und stürmte in die Halle. »Keine Bewegung!«, rief er. »Ihr seid verhaftet!«
34.
S
tille breitete sich in der Gebetshalle aus, als die Schmuggler in schockiertem Entsetzen auf Sano und dessen Gefährten starrten. Vor Sanos geistigem Auge verschmolzen bruchstückhafte Bilder miteinander: der winzige Abt Liu Yun und der hoch gewachsene Vizedirektor deGraeff, die regungslos Seite an Seite standen; Nirins verblassendes Lächeln; die Fassungslosigkeit auf dem Gesicht von Dolmetscher Iishino; die Wachsoldaten von Deshima, die ihre Münzen zusammenrafften; ein finster blickender Verbrecher, dessen Arme blau waren von Tätowierungen. Dann brach das Chaos aus.
»Flieht!«, brüllte der Anführer der Verbrecherbande.
Seine Männer rannten zur Eingangstür, durch die im gleichen Moment Hirata und seine Mitkämpfer in die Halle stürzten. Die Schwerter gezogen, stellten sie sich den unbewaffneten Verbrechern in den Weg. Die Wachen von Deshima, die den Gaunern gefolgt waren, verharrten unschlüssig, bis der scharfe Ruf von Hauptmann Nirin sie erreichte. »Kommt zurück, ihr Feiglinge! Tötet sie, und wir sind in Sicherheit!«
Er zog sein Schwert. Seine Männer zauderten, stürmten wieder zu Nirin, sammelten sich um ihn und rissen die Schwerter aus den Scheiden. Dann rückten sie unter Nirins Führung gegen Sano und Takeda vor. Während Sano sich für den Angriff wappnete, versuchte er jeden im
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