Die Staatsanwältin - Thriller
auf die Straße geblickt, während er sprach, aber jetzt wandte er sich mir zu. Ich hatte plötzlich keine Ahnung, wo all das hinführte.
»Jamie, Sie sind lange genug Staatsanwältin, um zu wissen, dass kein Strafverteidiger so viele unschuldige Mandanten hat. Wieso haben Tates Mandanten also so gut bei den Tests abgeschnitten? Ich dachte mir, er müsse einen Lügendetektor-Experten auf der Lohnliste haben, sozusagen.«
Mace James Geschichte hatte eine interessante Wendung genommen. Ich hörte auf, mir Sorgen um den Ruf meines Vaters zu machen. Und ich hörte auf, auf meine Uhr zu sehen.
Mace richtete den Blick wieder auf die Straße. »Wieder falsch. Stattdessen entdeckte ich, dass die Tests von verschiedenen Versuchsleiterndurchgeführt worden waren. Neun Tests. Fünf verschiedene Experten. Also musste etwas anderes dahinterstecken.«
Er unterbrach sich und sah auf seine eigene Uhr. »Tut mir leid; ich sehe, meine Zeit ist um.« Er lächelte. Ich nicht. »Gibt das Gericht mir noch zwei Minuten mehr?«
»Sagen Sie einfach, was Sie sagen wollen, und tun Sie es, so schnell Sie können.«
»Der Lügendetektor deckt, wie Sie wissen, eigentlich keine Lügen auf. Er misst physiologische Veränderungen, die auftreten, weil wir bei einer Lüge nervös werden. Erhöhte Herzfrequenz. Schwitzen. Veränderungen im Blutdruck. Solche Dinge.«
»Ich bin nicht von gestern«, erwiderte ich.
»Stimmt. Entschuldigung. Also jedenfalls ging ich davon aus, dass Tate einen Weg gefunden hatte, den Test zu manipulieren. Ich habe mit ein paar Lügendetektor-Versuchsleitern gesprochen und angefangen, Möglichkeiten für eine Täuschung zu recherchieren …«
»Ich kenne die Möglichkeiten«, unterbrach ich ihn. »Ich habe sie für Antoines Fall recherchiert.«
»Das dachte ich mir. Na ja … ich habe mich tatsächlich mit mehreren von Tates ehemaligen Mandanten getroffen, die den Test gemacht hatten, und sie stritten ab, etwas von Täuschungsversuchen zu wissen. Außerdem glaube ich, Antoine hätte mir von so etwas erzählt. Und noch etwas – diese anderen Mandanten wirkten nicht allzu schlau, und doch hatte jeder Einzelne von ihnen den Test bestanden. Meines Wissens nach ist nie ein Mandant von Tate durchgefallen.«
»Wo führt das alles hin?«, fragte ich.
Mace James hörte auf zu schaukeln. Er beugte sich vor, die Ellbogen auf den Knien. »Es gibt noch einen Weg, den Lügendetektor zu schlagen – man bringt sich selbst dazu, ehrlich zu glauben, dass man das Verbrechen nicht begangen hat. Der Lügendetektor erkennt nicht den Unterschied zwischen falschen und echten Erinnerungen; er kann nur testen, ob man glaubt , die Wahrheit zu sagen.
Dieser Aspekt wurde mein Fokus, als ich Antoines Lügendetektor-Ergebnisse mit seinen Hirnscan-Ergebnissen in Einklang bringen wollte. Jamie, es gibt einen ganz neuen Zweig in der Neurologie, der sich aufdie Erzeugung von Pseudoerinnerungen konzentriert, durch eine Form der Hypnose, die bei einem großen Teil der Bevölkerung funktioniert. Die Wirkung wird verstärkt, wenn die Person gewisse Drogen nimmt. Das ist keine Showhypnose mit schwingenden Uhren und all dem Zeug; es ist eine sehr ausgeklügelte Form der Wahrnehmungsbeeinflussung, deren Wirksamkeit man in neurologischen Studien nachweisen kann. Die CIA hat vor mehr als zwanzig Jahren damit experimentiert, um Agenten zu schulen, die gewisse Aufträge ohne Reue und ohne Erinnerung an die Ereignisse durchführen konnten.
Mediziner in Indien haben es als Anästhesie benutzt, wenn sie operierten – sogar bei der Amputation von Gliedmaßen. Dieses Ding ist real, und es funktioniert.«
Meine Gedanken schossen in hundert verschiedene Richtungen. »Es kann Erinnerungen neu erschaffen?«
»Bei gewissen Teilen der Bevölkerung – ja.«
»Und bei Tates Mandanten waren es neun von neun?«
»Neun von neun.«
»Und zehn von zehn, wenn man Tate selbst mitzählt.«
»Sie haben es erfasst«, sagte Mace.
»Aber wie hilft mir das alles bei Caleb Tate?«, fragte ich. »In Ihrer SMS stand, Sie hätten vielleicht etwas, das ich verwenden könnte.«
»Ich fange ja gerade erst an«, sagte Mace.
Jetzt machte ich mir keine Gedanken mehr, wie lange er wohl brauchen würde.
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84
Schweißperlen standen mir im Nacken, aber ich rührte mich nicht. »Was haben Sie gefunden?«, fragte ich.
»Ich konnte Antoines Fall nicht einfach abschließen – nicht mit so vielen unbeantworteten Fragen. Und das hat mich zu einigen
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