Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
entziffern: Kryptiden und ihre Entdecker von David Bandle.
    Er holte tief Luft und schloss die Augen. Durch die Augenlider hindurch konnte er das Buch fast vor sich sehen; es glühte wie brennende Kohle. Er beugte sich vor und klopfte mit dem schmutzigen Zeigefinger auf die Vitrine. »Wie viel kostet dieses Buch?«
    »Ich feilsche nicht«, erklärte das offenbar immer noch argwöhnische Apfelweibchen. Es machte keine Anstalten, die Vitrine zu öffnen. »Haben Sie überhaupt Geld?«
    Er hatte Geld: neun Dollar vom Betteln an der Schnellstraße, wo er so lange herumgestanden hatte, bis sein Rücken sich verkrampft, der Kopf sich in Matsch verwandelt hatte und die Beine ihm taub geworden waren. Sein Atem stank wie Abgas. »Ja, ich habe etwas Geld. Ich hoffe, das Buch ist nicht allzu teuer.«
    »Es ist eine Erstausgabe«, erwiderte das Apfelweibchen, dessen Augen wie blaue Feuersteine funkelten.
    »Wie viel kostet es?«
    »Vermutlich zu viel.«
    »Könnten Sie bitte nachsehen?«
    Die Inhaberin krauste die Nase, zuckte die Achseln, zog den Spitzenschal von den Schultern und schob die Rückwand der Vitrine auf. Während sie sich mit vielsagendem Stöhnen vorbeugte, holte sie das Buch heraus, richtete sich wieder auf und drückte es an ihren Busen.
    Noch nie hatte Daniel eine derart dicke Ausgabe von Bandles Werk gesehen. Der Abstand zwischen den beiden Buchdeckeln war mehr als fingerbreit.
    Die Inhaberin setzte sich die Brille auf die Nase und schlug mit ihren plumpen, trockenen Fingern das Buch vorne auf. »Fünfzehn Dollar.«
    »Ich habe neun. Ich werde Ihnen neun dafür geben.«
    »Ich feilsche nicht«, wiederholte sie naserümpfend.
    Daniel bedachte sie mit einem entschuldigenden, schmallippigen Lächeln. »Es ist angestaubt. Sieht so aus, als hätte es schon eine ganze Weile hier gestanden.«
    Mit zusammengekniffenen Augen blickte sie auf das Datum, das mit Bleistift unterhalb des Preises eingetragen war. Irgendetwas brachte sie zum Einlenken, jedenfalls wirkte sie nicht mehr ganz so steif. »Möchten Sie das Buch wirklich unbedingt haben?«
    Er nickte. »In meiner Kindheit war’s eines meiner Lieblingsbücher. Erinnert mich an bessere Zeiten.«
    »Das Buch steht seit genau drei Jahren in dieser Schauvitrine. Stimmt, es ist angestaubt, aber ich habe noch nirgendwo
eine andere Ausgabe davon entdeckt. Ich lasse es Ihnen für fünfzehn Dollar.«
    »Ich hab aber nur neun, ganz ehrlich.«
    Sie lehnte sich zurück und musterte ihn mit Schweinsäuglein. »Sie sind doch der Bursche, der an der Schnellstraße bettelt, stimmt’s?«
    Offenbar war Charles Granger jedem hier ein Begriff. Daniel lächelte breit, zeigte dabei all seine unregelmäßigen, verstockten, kaputten Zähne, hustete und verströmte dabei üblen Mundgeruch.
    Das Mitgefühl, das die Inhaberin einen Moment lang empfunden haben mochte, legte sich sofort wieder. Doch um ihn loszuwerden, verkaufte sie ihm das Buch. Und er zahlte dafür alles Geld, das er besaß.
     
    Nachdem er ins dunkle Haus zurückgekehrt war, nahm er das Buch ins Wohnzimmer mit, setzte sich ächzend auf den kaputten Rohrstuhl, wobei sämtliche Gelenke knirschten, und musterte den Buchrücken. Diese Ausgabe des Werks war wirklich bemerkenswert dick, dicker als jede andere, die er je besessen hatte. Da ihm das Sitzen zu weh tat, streckte er sich auf dem Fußboden aus, um bei Kerzenlicht zu lesen. Doch gleich darauf stützte er sich auf Ellbogen und Knie, ging schließlich in die Hocke und wiegte sich auf einem Polsterkissen langsam hin und her.
    Endlich war dieses Buch – diese aufgeblähte, detaillierte Version, dachte er, als er mit dem Daumen über die Seiten fuhr – in seinem Besitz. Also konnte er sich mit der Lektüre jetzt ruhig Zeit lassen, so lange, bis er sich dafür gewappnet fühlte. Falls ihm überhaupt noch Zeit blieb. Er war in gewisser Weise vorangekommen,
falls man es als »vorankommen« bezeichnen konnte, sich an die Entschlüsselung von Hiobsbotschaften zu machen.
    Was das Buch beschrieb, war wirklich purer Horror: zentimeterlange Flöhe. Urzeitliche Säugetiere, entdeckt in Neuguinea. In Kanada war jemand auf Exkremente und Haare des sagenumwobenen Bigfoot gestoßen, und die DNA-Analyse hatte ergeben, dass der alte Herr tatsächlich existierte und ein entfernter Verwandter der menschlichen Spezies war.
    Er sah sich das Register an und schlug es etwa in der Mitte auf.
    Fische, behaart: neu entdeckte Art; Haarwurzeln wie bei Säugetieren
    Fledermaus, indigoblau: in

Weitere Kostenlose Bücher