Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
das Eingreifen der Gebieterin. Eine so lange Geschichte, so viele Erkenntnisse, doch wozu? Er kam sich vor wie eine hässliche Attraktion in einem Kuriositätenkabinett. Wann würde man Maxwell Glaucous wegen seiner Untätigkeit den Lebensfaden abschneiden, ihm die Stärke und das Geschenk der Langlebigkeit nehmen?
    Bis auf die Lampe, deren Licht direkt auf die zerknitterte Zeitung in seinem Schoß fiel, war das Zimmer völlig dunkel. Das Telefon hatte den ganzen Tag nicht geläutet, und vorher hatten sich nur Spinner bei ihm gemeldet: neugierige oder unverschämte Anrufer, Betrunkene, Menschen, die sich langweilten, und durchgeknallte Typen. Die übliche Klientel.
    Aber er kannte sich mit diesen Mustern aus. Es gab einen Grund dafür, dass Maxwell Glaucous in den Nordwesten gezogen war und sich in Seattle niedergelassen hatte. Hier spürte er all die kleinen Wellen im menschlichen Ozean – Bugwellen, als pflügten winzige Schiffe durch die großen Wirbel und Strudel eines unkontrollierten oder falsch gelenkten Geschicks.
    Sieben Jahre lang war er kreuz und quer durch das Land gefahren, hatte mit dem Wagen endlose Meilen hinter sich gebracht, neben sich die eigenbrötlerische und reizlose Penelope.
    Seine Lider sanken auf Halbmast. Er glitt in sein morgendliches Nickerchen hinüber. In einigen Minuten würde er frisch und munter wieder aufwachen … Doch im Augenblick wollte er nur schlummern, spürte den überwältigenden Drang, kurz ins Wasser der Lethe einzutauchen. Das Summen im Schlafzimmer, die Stille des stickigen Wohnzimmers, der angenehm weiche Ledersessel – all das lullte ihn ein. Mit verschwommenem Blick starrte er auf das schwarze Telefon, dann wandten sich die wässrigen Augen nach innen, der Knollennase zu, und sein Sichtfeld trübte sich …
    Plötzlich riss er beide Augen weit auf, und sein Rückgrat versteifte sich. Jemand war an der Eingangstür seiner Wohnung.
    Er konnte sehen (sich zumindest ausmalen), wie sich Handknöchel hoben und krümmten. Gleich darauf hörte er ein lautes Klopfen, gefolgt von einer scharfen, tiefen Stimme, die so klang, als rollten Kiesel über verschlammten Flussgrund. »Ich weiß, dass Sie da drin sind, Max Glaucous! Machen Sie auf! Wie in alten Zeiten, denn die alten Regeln gelten noch.«
    Glaucous erwartete keine Besucher.
    »Ich komme.« Hastig stand er auf, doch ehe er an die Tür ging, klopfte er leise bei Penelope an. Das Summen brach ab. »Es ist jemand da, mein Liebling«, sagte er. »Sind wir bereit, ihn zu empfangen?«

26
Universitätsbezirk
    »Ich kenne Sie nicht. Ich kenne niemanden, der so heißt«, sagte Fred Johnson zu dem verkommenen, krank wirkenden Mann, der an seiner Veranda lehnte.
    »Verstehe«, erwiderte Daniel. »Aber ich kenne Sie oder zumindest jemanden, der Ihnen sehr ähnlich ist.« Seine Stimme klang heiser und unmoduliert. Der lange Marsch von der Universität hierher hatte ihn erschöpft.
    Der frühere Charles Granger war fünf Zentimeter größer als Fred Johnson, der knapp einen Meter achtzig maß, sofern man den schwarzen Haarschopf über der hohen Stirn mitrechnete. Überaus geduldig taxierte er den unerwarteten Gast; mehr Geduld hätte Daniel in dieser Situation von keinem Menschen erwarten können.
    »Ich brauche ein paar Minuten, um es zu erklären«, sagte Daniel. »Vermutlich werden Sie mir nicht glauben, also gehe ich, sobald ich damit fertig bin. Aber ich dachte, falls überhaupt jemand die Situation verstehen kann, dann Sie. Ich bin froh, dass Sie immer noch hier wohnen. Eigentlich ist das ziemlich erstaunlich.«
    »Sie haben meine Adresse aus dem Telefonbuch, stimmt’s?«
    »Nein, ich habe bei der Universität vorbeigeschaut. Vielleicht bleiben sich die Physiker in allen möglichen Welten gleich. Vielleicht sind es die Physiker, die die wichtigen Fäden miteinander verknüpfen.« Er streckte die langen Arme vor, zog die schmutzigen Ärmel hoch und grinste so breit, dass die faulen Zähne zu sehen waren.
    Johnson musterte ihn von Kopf bis Fuß, versuchte dabei, seinen Ekel zu verbergen, und kam offensichtlich zu dem Schluss,
dass dieser Mann zwar sonderbar war, aber keine Bedrohung darstellte. »Ich beschäftige mich nur mit einem sehr kleinen Gebiet der Physik«, erwiderte er. »Sagen Sie mir, was Sie brauchen. Ein bisschen Geld?«
    »Es geht hier nicht um Geld, sondern um Wissen. Ich weiß gewisse Dinge, die Sie bestimmt gern erfahren würden.«
    Johnson schnippte mit den Fingern. »Sie sind der Bursche von der

Weitere Kostenlose Bücher