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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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zurück, dass sie gleich runterkäme.
    Lara griff nach einem breiten Kamm und begann, die Knoten aus ihren Haaren zu ziehen. Anschließend trug sie noch rasch etwas Rouge auf, schlüpfte in ihre Jeans, streifte ein weißes T-Shirt über und ging barfuß in die Küche hinunter.
    Der Duft des Essens drang Lara in die Nase und zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass sie doch Appetit hatte.
    »Guten Morgen, Oma«, sagte Lara und zog einen Stuhl heran.
    Ihre Großmutter wirkte ruhig und gefasst, aber in ihren Augen lag ein besorgter Ausdruck. Offensichtlich hatten Laras Verschönerungsversuche doch nicht so viel bewirkt.
    Martha trat schweigend näher, bückte sich und umarmte ihre Enkelin. »Alles wird wieder gut«, flüsterte sie immer wieder leise in Laras Ohr und streichelte ihr dabei tröstend über den Rücken.
    »Oma, ich …«
    »Jetzt iss erst mal und dann reden wir in aller Ruhe darüber, was passiert ist.«
     
    Lara trank den letzten Schluck Kaffee und wischte mit einer Ecke des Toastbrots das restliche Ei auf. Mit dem Frühstück im Magen fühlte sie sich wesentlich besser und auch das Schwächegefühl war verschwunden.
    Sie atmete tief ein und sagte: »Oma, ich habe dir gestern nicht alles erzählt … nicht die ganze Wahrheit.«
    Ihre Großmutter hob fragend eine Augenbraue. »Und was hast du ausgespart?«
    »Ich war diejenige, die versehentlich gegen einen der beiden gestoßen ist, nicht umgekehrt. Aber obwohl ich mich entschuldigt habe, sind sie aggressiv geworden. Derjenige, den ich angerempelt habe, hat mich geschlagen und beschimpft. Als ich zu Boden stürzte, hat er sich auf mich geworfen und versucht, mir die Kleider vom Leib zu reißen.« Lara versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken.
    Stumm vor Entsetzen blickte ihre Großmuter sie an.
    »Wäre Damian nicht hinzugekommen, hätte alles Mögliche passieren können. Er hat mir geholfen – und wurde von den beiden zusammengeschlagen.«
    Sie schwiegen für einen Moment, beobachteten, wie der Staub im Sonnenlicht tanzte.
    »Dann sind wir Damian zu großem Dank verpflichtet …«, sagte ihre Großmutter schließlich.
    »Ja.«
    »… und wir müssen die Polizei verständigen.«
    Lara zögerte. »Ich denke, das wird nichts bringen, Oma.«
    »Was?«
    »Es war dunkel, diese Typen trugen Kapuzenjacken und ich habe ihre Gesichter nicht richtig gesehen. Zum Glück ist ja nichts passiert.«
    Marthas Gesichtsausdruck wurde hart. »Du willst sie davonkommen lassen? Einfach so? Sie haben dich geschlagen und hätten dir wer weiß was angetan, wenn der junge Mann nicht aufgetaucht wäre … Und du willst sie noch nicht mal anzeigen?«
    »Oma, das bringt doch nichts. Ich habe nicht die Kraft, mich stundenlang von der Polizei befragen zu lassen. Am liebsten würde ich den ganzen Vorfall einfach vergessen.«
    »Vergessen? Nein, hier wird gar nichts vergessen. Wenn dein Großvater von der Universität zurück ist, fahren wir zum nächsten Polizeirevier. Und heute Abend rufen wir deine Mutter an und erzählen ihr alles.«
    Lara gab jede Widerrede auf. Ihr fehlte die Energie, ihrer Großmutter zu widersprechen. Sie nahm Teller, Tasse und Besteck, stand auf und räumte alles in die Spülmaschine. Ohne sich umzudrehen, fragte sie beiläufig: »Hat Damian eine Telefonnummer oder seine Adresse hinterlassen?« Selbst in ihren Ohren klang der Versuch, kein übermäßiges Interesse zu zeigen, absolut kläglich.
    »Nicht, dass ich wüsste, als ich gestern Abend wieder runterkam, war er schon gegangen. Vielleicht hat dein Großvater etwas notiert.«
    Enttäuschung machte sich in Lara breit. Gerne hätte sie Damian wiedergesehen, mit ihm über alles gesprochen, sich noch einmal bei ihm bedankt, aber nun war er genauso schnell aus ihrem Leben verschwunden, wie er hineingetreten war.
    Vor ihrem geistigen Auge sah sie das schwarze Haar, das schmale, etwas bleiche Gesicht und sein schiefes Lächeln, das ihn so sympathisch machte. Sie spürte, er war jemand Besonderes. Ein Mensch, wie man ihm nur selten begegnet.
    Sie musste sich eingestehen, dass alle Jungs an ihrer Schule neben ihm langweilig und uninteressant wirkten. Sie hätte ihn gern näher kennengelernt; vielleicht hätte er ihr Berlin zeigen können.
    Aber nun war es zu spät. Sie hatte es verpatzt!
    Warum habe ich ihn nicht nach seiner Handynummer gefragt?
    Der Gedanke, ihn vielleicht niemals wiederzusehen, ließ ihre Laune auf den Nullpunkt sinken. Plötzlich fühlte sie sich unsagbar müde. Kraftlos.
    Sie

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