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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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Anwesenheit ihrer Großmutter machte das unmöglich.
    Als Martha keine Anstalten machte, sie beide allein zu lassen, hatte Lara einen Spaziergang vorgeschlagen. Und zum Glück war auch die alte Dame der Meinung gewesen, dass Lara ein bisschen frische Luft guttun würde. Lara seufzte. Sie mochte ihre Großeltern wirklich, aber manchmal waren sie schlimmer als ihre Mutter.
    Sie ließen die Vorstadtgärten hinter sich und gingen eine schmalen Weg entlang, der zu einem kleinen See führte, dessen Oberfläche im Sonnenlicht golden glänzte.
    Bisher hatten sie kaum miteinander gesprochen, aber Lara genoss dieses Schweigen. Ihre Hände hatte sie tief in den Jackentaschen vergraben, damit Damian nicht bemerkte, wie sie aufgeregt ihre Finger knetete.
    »Ein schöner Platz«, sagte Damian. Er bückte sich und hob einen kleinen schwarzen Stein auf. Nachdem er ihn eine Weile betrachtet hatte, ließ er ihn übers Wasser tanzen. Als er sich wieder zu Lara umdrehte, grinste er. »Ich konnte einfach nicht widerstehen.«
    »Sieben Mal.«
    »Was?«
    »Der Stein ist sieben Mal aufgehüpft, bevor er untergegangen ist.«
    »Nicht schlecht, oder?«
    Sie zwinkerte ihm zu. »Aber nicht gut genug.«
    Nach zwei Minuten hatte Lara einen vielversprechenden Stein gefunden. Er passte perfekt in ihre Handfläche, war flach und rund. Sie nahm einen Schritt Anlauf und ließ den Stein auf Kniehöhe los. Befriedigt sah sie zu, wie er bis ans andere Ufer hüpfte.
    »Wow!«, meinte Damian und schien wirklich beeindruckt zu sein. »Du machst das anscheinend öfters. Hat dir das dein Vater beigebracht?«
    Lara schüttelte den Kopf. Durch die Bewegung verfing sich eine Haarsträhne zwischen ihren Lippen, die sie energisch wegwischte. »Nein, ich kenne meinen Vater nicht. Er hat meine Mutter kurz nach der Geburt verlassen.«
    Betretenes Schweigen breitete sich aus. »Das tut mir leid«, sagte Damian schließlich.
    »Muss es nicht.«
    »Vermisst du ihn?«
    Sie zögerte. »Wie kann man etwas vermissen, das man niemals hatte?« Lara hob eine Hand, als Damian etwas erwidern wollte. »Es ist nicht er, den ich vermisse, aber ich habe mir oft gewünscht, ich hätte einen Vater, so wie alle anderen Kinder eben auch.«
    »Kann ich verstehen. Hast du Geschwister?«
    »Nein. Und du? Bist du auch ein Einzelkind oder hast du Geschwister?«
    »Ich habe eine ältere Schwester.«
    »Wie alt bist du eigentlich?«
    »Einundzwanzig. Und du?«
    »Siebzehn. Bald werde ich achtzehn.« Sie seufzte. »Endlich.«
    »Warum? Hast du es eilig?«
    »Will nicht jeder Jugendliche irgendwann erwachsen werden – oder zumindest als erwachsen gelten? Ich finde dieses Zwischenstadium unerträglich. Entweder die Leute behandeln dich wie ein kleines Kind oder sie fordern von dir, Verantwortung zu übernehmen. Dazwischen gibt es anscheinend nichts.«
    »Also ich war gerne ein Kind. Den ganzen Tag machen, was man will, das ist doch die pure Freiheit.«
    »Machen, was man will?«, fragte Lara erstaunt. »Sie schicken dich in die Schule. › Lerne, Kind, für dich, für das Leben, nicht für die Schule. ‹«Lara merkte, wie sie die Stimme ihrer Mutter imitierte. »Und wenn du nicht die Noten nach Hause bringst, von denen sie träumen, dann stellen sie Fragen, bis du gar nichts mehr weißt.«
    »Na ja, ganz so …«
    Lara ließ ihn nicht aussprechen. »Zu all dem Schulstress kommt dann noch irgendwelcher langweiliger Musikunterricht, in meinem Fall Geige, weil die musikalische Ausbildung ja so wichtig ist.«
    Lara hatte sich nun richtig in Rage geredet. »Und Sport«, fuhr sie fort. Sie verzog das Gesicht und fuchtelte wild mit den Händen. »Sport ist wichtig. Man braucht ja Bewegung, wenn man den ganzen Tag nur herumsitzt. Also melden sie dich beim Ballett, zum Reiten oder für Tennisstunden an.«
    Als sie Luft holte, nutzte Damian die Gelegenheit, etwas einzuwerfen. »Und zu alldem hat man dich gezwungen. Du wurdest nicht gefragt. Gegen deinen Willen hat man dich auf ein Pferd gesetzt und dir einen Tennisschläger in die Hand gedrückt!«
    Zuerst wollte sie losschimpfen, aber dann sah sie sein Schmunzeln. »Du nimmst mich nicht ernst.«
    »Doch, aber du solltest dich mal hören. Es klingt, als hättest du deine Kindheit in Sklaverei verbracht.«
    Sie konnte das Lachen, das in ihr aufstieg, nicht unterdrücken. »Na ja, ganz so schlimm war es dann auch wieder nicht. Aber mal ehrlich, war es bei dir anders?«
    Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. Ein harter Zug legte sich um seine Mundwinkel. »Es

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