Die Stadt der gefallenen Engel
kam diese Zahl sogar vier Mal vor.
Was hatte das zu bedeuten? Das Geburtsdatum konnte kein Zufall sein, nicht, wenn sie all die anderen Ungeheuerlichkeiten, die sie an diesem Nachmittag erfahren hatte, bedachte – ein verkehrt herum aufgehängtes Kreuz als Zeichen für eine Satansmesse, die Verlobung eines Kindes mit einem erwachsenen Mann, der nicht alterte.
Und Damian.
Damian?
Lara nahm sich einen weiteren Zettel und schrieb seinen Familiennamen auf.
A N T A S.
Dann ordnete sie die Buchstaben des Namens neu.
Und plötzlich war alles klar.
S A T A N.
Der Schock traf sie mit solcher Wucht, dass sie aufstöhnte. Ohne es zu merken, stieß sie sich mit den Füßen vom Boden ab und rollte mit dem Bürostuhl zurück, bis sie gegen eine Regalwand stieß.
Hitze stieg in ihr auf. Dann eisige Kälte. Sie hatte das Gefühl, als würde Dunkelheit ihre Seele auffressen.
»So, da bin ich wieder«, erklang Pauls fröhliche Stimme neben ihr.
Lara sprang auf und rannte aus dem Atelier, vorbei an dem völlig fassungslosen Fotografen, der nicht verstand, was vorgefallen war.
59.
Lara fühlte sich wie betäubt. Sie stolperte durch die Straßen, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen. In ihrem Kopf kreisten unablässig die gleichen Fragen.
Wie konnte das alles sein?
Was hatte es zu bedeuten?
Die einzelnen Elemente des Fotos wirbelten in ihrem Kopf durcheinander. Eine Gruppe Menschen. Ihre Großeltern. Ihre Mutter, noch ein Kind. Damian und ihr Vater, jung und scheinbar nicht gealtert in all den Jahren. Das verkehrt herum aufgehängte Kreuz.
Ich verstehe das alles nicht, dachte Lara. Es ist so absurd.
Sie schüttelte den Kopf, ohne es zu bemerken. Damian sollte Satan sein? Wie abgefahren war das denn?
Seit sie ein Kind gewesen war, glaubte sie nicht mehr an Geister, Gespenster und Dämonen und schon gar nicht an Engel oder den Teufel.
Gott? Vielleicht gab es ihn, vielleicht auch nicht, wer konnte das schon wissen? Man konnte nur glauben, dass es ihn gab. Lara war zu der Überzeugung gelangt, dass alles Gute und alles Böse von den Menschen kam. Selbst die Natur mit ihrer gewaltigen Kraft konnte da nicht mithalten.
Wieder stieg ein hysterisches Lachen in ihr auf, als sie sich vorstellte, dass sie sich in den Teufel verliebt hatte. Allein für diese Überlegung würde man sie zur Untersuchung in eine psychiatrische Klinik einweisen. Dabei hatte sie noch nicht einmal behauptet, dass ihre Mutter als Säugling mit einem Unsterblichen, wahrscheinlich Satans Diener, verlobt worden war.
Wahnsinn, dachte Lara. Es war das Absurdeste, was sie je gedacht hatte … Aber welche andere Erklärung konnte es sonst geben?
Lara blieb an einer Hauswand stehen und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Sie schloss die Augen. Was sollte sie jetzt tun?
Zu ihren Großeltern konnte sie nicht zurück, denn die waren in die Sache verstrickt. Ohne ihr Einverständnis wäre es nie so weit gekommen. Sie hatten ihre eigene Tochter an den Teufel verkauft. Warum auch immer sie das getan hatten, alleine dafür sollten sie in der Hölle schmoren, dachte Lara und spürte die glühend heiße Wut, die bei diesem Gedanken ihren Körper durchströmte.
Nun war Lara auch klar, warum ihr Vater die Familie verlassen hatte. Wenn er nicht alterte, also unsterblich war, wäre das irgendwann aufgefallen und irgendjemand hätte begonnen, unangenehme Fragen zu stellen.
Dieser Gedanke führte sie schließlich zu ihrer Mutter. Lara fragte sich, ob sie über all das Bescheid wusste. Sie wog alles ab und entschied dann, dass ihre Mutter sehr wahrscheinlich nicht den blassesten Schimmer davon hatte, welches dunkle Spiel ihre Eltern mit ihr getrieben hatten. Der Schmerz ihrer Mutter war echt und fühlbar. Noch heute vermisste sie den Mann, den sie liebte. Das konnte Lara spüren, auch wenn Rachel immer vorgab, ihn abgrundtief zu hassen. Die Wahrheit sah anders aus. Ihr Herz war gebrochen und seit siebzehn Jahren nicht geheilt.
Außerdem glaubte Lara nicht, dass Rachel ihr den Berlinbesuch erlaubt hätte, wenn sie von irgendetwas eine Ahnung gehabt hätte.
Am besten, ich rede mit ihr und erzähle ihr alles, überlegte Lara. Sie suchte in der Jackentasche nach ihrem Handy, fand es aber nicht. Sie hatte ganz vergessen, dass es kaputt war. Mist! Und Geld hatte sie auch nicht eingesteckt, als sie vorhin so überstürzt aus dem Haus geflohen war. Also konnte sie noch nicht mal ein öffentliches Telefon benutzen.
Was soll ich jetzt tun?, fragte Lara sich ratlos.
Zum ersten Mal
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