Die Stadt der gefallenen Engel
Engels beobachtet. Nun sah er, wie das Auto, in dem der Höllenkrieger saß, mit quietschenden Reifen eilig davonfuhr.
Sanael wusste nicht, was in dem Haus vorgefallen war, aber die Anwesenheit eines weiteren dunklen Engels in der Stadt konnte nichts Gutes verheißen.
Sanael verließ mit schwachen Schritten seinen Posten. Er musste sofort Gabriel informieren.
58.
Lara beugte sich ein letztes Mal würgend über die Kloschüssel, aber ihr Magen war leer. Nur noch der bittere Geschmack der Galle füllte ihren Mund. Sie erhob sich zitternd und betätigte die Spülung. Danach ging sie zum Waschbecken, öffnete den Wasserhahn und klatschte sich einen Schwall kühles Wasser ins Gesicht. Sofort ging es ihr besser. Sie hielt den Mund unter den Wasserstrahl und trank in gierigen Zügen. Ihr Magen gluckerte, als ihr Durst endlich gestillt war.
Als Lara sich wieder etwas wohler fühlte, fuhr sie sich mit den Fingern durch das Haar, holte tief Luft und öffnete die Tür. Auf keinen Fall durfte Paul nun misstrauisch werden. Zurück im Atelier, kam ihr der Fotograf mit dem Handy am Ohr entgegen. Er deutete auf das Telefon und blinzelte ihr zu.
»Dauert vielleicht etwas«, flüsterte er. Gleich darauf widmete er sich wieder seinem Gesprächspartner und sprach beschwichtigend auf ihn ein.
Lara war das nur recht. Sie wollte allein mit ihren Gedanken sein. Erneut sog sie tief die Luft ein, atmete hörbar aus, dann setzte sie sich auf den Bürostuhl und betrachtete das Foto erneut. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, was sie dort sah. Dass es gar nicht sein durfte, was ihre Augen dort erkennen konnten. Aber es war so.
Ihr Vater und Damian waren als erwachsene Männer zu sehen. Beide wirkten gleich alt, obwohl der Altersunterschied zwischen ihnen ungefähr zwanzig Jahre betragen musste.
Was noch?
Das Foto konnte nicht neueren Datums sein, denn sie erkannte eindeutig ihre Großeltern und den Buchhändler. Alle sahen ungefähr vierzig Jahre jünger aus. Ihre Mutter war noch ein Kleinkind.
Hier lag eine enorme Diskrepanz, für die es nur eine Erklärung geben konnte – Damian und ihr Vater waren in der ganzen Zeit, die seit der Aufnahme vergangen war, nicht gealtert. Dreiundvierzig Jahre. Und sie sahen nicht einen Tag älter aus.
Lara lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ihr die nächste Frage durch den Kopf schoss. Waren sie unsterblich? Als ein hysterisches Lachen in ihrer Kehle aufstieg, schob Lara diesen Gedanken schnell beiseite und ordnete die Fakten neu.
Das verkehrt herum aufgehängte Kreuz fiel ihr ein. Sie wusste um die Bedeutung dieses Zeichens. Es war ein Symbol des Teufels. Waren ihre Großeltern etwa Satanisten? Lara konnte nicht verhindern, dass ihr ein albernes Kichern entfuhr. Doch so abwegig war der Gedanke vielleicht gar nicht. Schließlich war ihr Großvater Professor für Geschichte und Okkultismus gewesen. Hastig sah sie sich nach Paul um. Ein Blick zur Küche verriet ihr, dass er immer noch telefonierte. Gut!
Tausend Fragen hämmerten in Laras Kopf und sie brauchte Antworten. Jetzt. Entschlossen griff sie nach der Computermaus und öffnete ein Browserfenster. Nachdem sie die Google -Webseite aufgerufen hatte, gab sie den Begriff Okkultismus ein.
Über zweihunderttausend Ergebnisse gab es zu diesem Begriff. Ganz oben stand der Wikipedia-Eintrag. Lara rief ihn auf und überflog den Artikel, der aber ziemlich zurückhaltend abgefasst war. Andere Internetseiten, die sie anklickte, gingen die Sache direkter an.
Okkultismus wäre so etwas wie ein Überbegriff für alle Geheimwissenschaften und übersinnlichen Phänomene, hatte ihre Großmutter erklärt. Eine nette Beschreibung, dachte Lara bitter – aber in Wahrheit ging es um schwarze Magie, Teufelsanbetung und Dämonenkult.
Der Scanner blinkte auf und riss Lara für einen Moment aus ihren Gedanken. Das Foto! Das Original!
Sie hob die Abdeckung des Gerätes an und nahm die Fotografie heraus. Da das Foto mit der Bildseite nach unten gelegen hatte, fiel ihr das Datum der Aufnahme ins Auge.
6. Juni 1967.
Gerade eben hatte sie auf einer der Internetseiten etwas über magische Zahlen gelesen. Hastig griff sich Lara ein Blatt Papier aus dem Zettelkasten neben dem Computer und einen Bleistift. Aufgeregt kritzelte sie das Geburtsdatum ihrer Mutter hin.
6. Juni 1966 – 6.6.1966 – 6.6.66
Auf der Webseite hatte es geheißen, dreimal die Sechs wäre die »Zahl des Tiers«. Die Zahl des Antichristen. Des Teufels. Im Geburtsdatum ihrer Mutter
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