Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
Ehefrau zu gehorchen statt Zuhältern und Gangbossen. Das war zwar fragwürdig, aber immerhin hätte er eine Chance gehabt. In New Orleans gab es solche Programme nicht, beziehungsweise waren die wenigen, die es gegeben hatte, nach dem Sturm eingestellt worden. Selbst wenn er ein Hilfsprojekt ausfindig gemacht hätte, wäre er gegen zwanzig andere Bewerber angetreten, allesamt Kinder, die vermutlich noch schlechter dran waren als er.
Außerdem war ich sicher, dass Andray die Möglichkeit, erschossen zu werden, als echtes Plus betrachtete.
Als ich vom Frühstück zurückkam, wartete Mick Pendell in der Lobby meines Hotels auf mich. Er saß steif auf einem Lehnsessel und blätterte in einer Ausgabe des Detective’s Quarterly. Er sah ungefähr so gelassen aus wie ein Patient, der wegen eines ungewöhnlichen Gewebeknotens einen Spezialisten aufsucht.
Ich hatte Mick seit fast zehn Jahren nicht mehr gesehen. Ich erkannte seine Tattoos noch vor seinem Gesicht wieder, insbesondere das Sternchen in seinem linken Augenwinkel. Ich spürte eine Gefühlswelle, die ich nicht benennen konnte – Nostalgie vielleicht, oder auch Freude.
Ich riss mich zusammen.
»Na so was«, sagte ich. »Heute muss mein verdammter Glückstag sein.«
Mick hörte meine Stimme und sprang auf. Er sah gut aus. Er war an den Schläfen ergraut, aber es stand ihm ausgezeichnet. Er trug einen alten, schwarzen Pullover, ein T-Shirt und schwarze Jeans, alles verwaschen und nicht allzu sauber. Er hatte die Ärmel seines Pullovers hochgeschoben, so dass ich die traditionellen japanischen Symbole sehen konnte, die seine Unterarme inzwischen komplett bedeckten. Wasser, Blumen, schwarze Wirbel. Auf seinen Fingerknöcheln thronten Runen, um seine Handgelenke schlangen sich Wörter: HASS links und LIEBE rechts.
Ehrlich gesagt – wenn man das eine nicht vom anderen unterscheiden konnte, sollte man lieber zu Hause bleiben.
»Leider«, sagte ich, »hast du keinen Termin vereinbart. Na ja. Du weißt schon. Auf Wiedersehen.«
Mick lachte, als hätte ich einen Witz gemacht. »Claire«, sagte er lächelnd. Seine Stimme klang tief und gealtert. »Claire. O Gott, ich freu mich ja so, dich zu sehen!«
Man musste keine Privatdetektivin sein, um zu merken, dass er log. Kein Mensch hat sich je gefreut, mich zu sehen. Es sei denn, ich war ihm Geld schuldig. Aber selbst das funktionierte nicht immer.
Ich sah ihn an.
»Tut mir leid, dass ich dich nicht empfangen konnte«, sagte Mick, zog die Hände aus den Taschen und steckte sie wieder hinein, »tut mir leid wegen der Sache mit dem Termin, aber ich …«
»Du hattest schlicht was Besseres zu tun«, ergänzte ich. »So wie ich jetzt.«
Ich drehte mich um und durchquerte den Innenhof, um zu meinem Zimmer zu gelangen. Mick lief mir nach.
»Es ist so …«, fing er an.
Ich ging schneller. Er holte mich ein.
»Es ist bloß so …«, wiederholte er.
Wir waren die Treppe hinaufgestiegen und vor meinem Zimmer angekommen. Ich holte den Schlüssel heraus und schloss auf.
»Tut mir echt leid«, sagte ich, »ich würde dich ja reinbitten, aber weißt du, ich will einfach nur, dass du verschwindest.« Ich fuchtelte mit der Hand. »Geh.«
»Claire«, sagte Mick und bemühte sich, Augenkontakt herzustellen. »Claire, die Sache mit dem Termin tut mir so leid.«
»Nein«, sagte ich. »Du bist hier, weil du etwas von mir willst. Was immer es ist, du wirst es nicht bekommen. Also kannst du jetzt gehen.«
»Ach, ich bitte dich!«, rief Mick und zwängte sich in die Tür. »Ich war mitten im Gespräch mit einem Studenten! Ich …«
»Du lügst«, sagte ich. »Und gleich wirst du mir erzählen, wie wichtig dir unsere Freundschaft ist und wie oft du an mich denkst und wie schade, dass wir uns aus den Augen verloren haben. Und zuletzt wirst du mich um das bitten, wofür du gekommen bist. Du kannst es also genauso gut hinter dich bringen und es mir gleich sagen.«
»Unsere Freundschaft …«, fing er an.
»Mensch, die Zeit!«, schrie ich und tippte auf mein armbanduhrloses Handgelenk. »Abgelaufen! Nix mehr übrig!«
Mick seufzte. »Also gut«, sagte er und setzte das falsche Lächeln ab. »Hör mal, ich brauche tatsächlich deine Hilfe.«
»Ooooh«, sagte ich langsam. »Du brauchst meine Hilfe. Was für eine verdammte Überraschung! Darauf wäre ich nie gekommen. Ich bin ja so was von …«
»Okay«, sagte er leise, »ist schon gut.«
Wir schwiegen eine endlose Minute lang. Wir zitterten beide.
»Mir ist kalt«,
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