Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
weiß, dass er es war. Und selbst in dem Fall werde ich die Entscheidung wahrscheinlich dem Auftraggeber überlassen.«
»Er ist ein guter Junge«, sagte Mick. »Du würdest ihn mögen.«
»Ich mag niemanden«, sagte ich, »auch keine Jungen. Und die guten schon gar nicht.«
»Er ist anders«, sagte Mick.
»Niemand ist anders«, sagte ich, »höchstens schlechter. Nur in der Richtung kommt es zu Abweichungen.«
Mick rollte sich auf die Seite, um mich zu betrachten. Seine Schläfen fingen an, faltig zu werden, die feinen Linien durchzogen seine Tätowierung. Aber er sah immer noch gut aus. Ich sagte nichts.
»Du kennst mich doch«, sagte Mick. »Gib ihm eine Chance, okay?«
Ich setzte mich auf, tat so, als sei ich an meinen Fingernägeln interessiert, und schwieg.
Ich wusste nicht mehr, seit wann Mick und ich nicht mehr befreundet waren. Wir hatten beide bei Constance gelernt, er noch vor mir. Wir waren keine Konkurrenten gewesen, eher so etwas wie Bruder und Schwester.
Aber als Constance starb, war eine ganze Welt untergegangen. Und in der Welt, die übrig blieb, waren Mick und ich plötzlich zwei Fremde, die einander früher gekannt hatten. In Constances Augen waren wir eine bessere Claire und ein besserer Mick gewesen, aber als sie starb, starben diese beiden Personen ebenfalls. Soweit ich wusste, vermisste niemand die zwei.
Niemand außer mir.
»Okay«, sagte ich. »Ich werde mich drum kümmern. Ich kann dir nichts versprechen, aber ich werde mich damit befassen.«
»Verdammt, Claire!«, sagte Mick und setzte sich auf. »Danke! Ehrlich. Vielen Dank.« Er lächelte nicht, er sah einfach nur ein kleines bisschen weniger unglücklich aus.
»Aber«, fügte ich hinzu, »du wirst mir helfen. Und du wirst die Aufgaben übernehmen, die keinen Spaß machen.«
Mick nickte. Er wusste, wovon ich sprach. Bankunterlagen, Polizeiakten, Beweise – falls es welche gab –, all das musste unter die Lupe genommen werden. Eine langweilige Arbeit, die Mick aber lag.
»Also schön«, sagte ich. »Dann erzähl mir, was du über Vic Willing weißt.«
Mick zuckte die Achseln. »Die Leute sagen, er war in Ordnung. Ich habe ihn ein paar Mal getroffen. Ich hatte zwar nie mit jemandem zu tun, gegen den Vic Willing ermittelte, aber man macht sich ja trotzdem ein Bild. Er war schon eine Type, du weißt schon, ein echtes Original. Hat viel geredet, laute Stimme, besuchte Galatoire’s und ähnliche Läden. Trug Seersuckeranzüge. Gab sich so überselbstbewusst, wie es nur die Reichen tun. Ein typisches weißes Alphamännchen. Charmant. Du kennst die Sorte Mann.«
Ich zuckte die Achseln. Ich wusste nicht, ob ich die Sorte Mann kannte.
Wir redeten noch ein bisschen über Vic. Mick hatte nichts Interessantes mehr zu erzählen. Wir beschäftigten uns mit Andrays recht dünnem Alibi. Ich fragte Mick nach den Leuten, in deren Begleitung Andray angeblich die Woche nach dem Sturm verbracht hatte.
»Hm«, sagte Mick und runzelte die Stirn, »hm, Trey ist verschwunden. Ich glaube nicht, dass er tot ist, aber ich weiß nicht, wo er steckt. Peanut ist leider nicht mehr unter den Lebenden, das weiß ich zufällig ganz genau. Terrell – tja, der ist noch da, aber ich weiß nicht, ob er als Alibi so viel taugt. Er hängt selber zu tief drin. Lali könnte in Ordnung sein.«
Er sagte mir, wo ich Lali finden konnte. An der alten Tankstelle rechts abbiegen. Am eingestürzten Haus links. Vorsicht an der nächsten Kreuzung, da gibt’s derzeit viel Stress.
»Ich hab gehört, du warst im Krankenhaus«, sagte Mick. »Geht es dir gut?«
»Klar«, sagte ich. »Nein. Ich weiß gar nicht, woher die Leute das haben. Ich habe ein paar Wellness-Wochen eingelegt, das war alles.«
Ich fragte Mick, ob er sich erklären könne, wie Andray zu einer Ausgabe von Détection gekommen war.
»Andray?«, sagte Mick. » Détection? Das Buch von Silette?«
»Ja«, sagte ich, »das Buch von Silette.«
Mick war kein Anhänger von Détection. Er hatte Constances Lehre angenommen, ohne sich für den theoretischen Überbau zu interessieren. Er hielt das Buch für verrückt, eines von vielen irren Büchern, über die Constance sich mit mir austauschte. Für Mick war ein Buch bloß ein Buch.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen blassen Schimmer«, sagte er. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob Andray richtig lesen kann. Ich meine, er kommt zurecht, aber dieses Buch ist wirklich anspruchsvoll.«
Ich setzte mich auf und bat Mick zu gehen. Er lud mich für den
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