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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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nächsten Tag zum Mittagessen ein, und ich sagte zu. Dann ging er.
    Ich erinnerte mich an seinen Geruch, nach Holz und Schweiß. Ich rollte übers Bett bis zu der Stelle, an der er gelegen hatte.
    Er roch anders. Heute roch er nach Hasch und Gipsstaub und Rauch und Schimmel. Er roch wie die Traurigkeit. Wie New Orleans.

15
    V or einigen Monaten, nach einem besonders komplizierten Fall, hatte ich zu fasten angefangen, um mich vom krank machenden Einfluss meiner Arbeit zu reinigen. Ich aß nicht mehr. Ich schlief nicht mehr. Ich reduzierte meinen Drogenkonsum nicht. Eine Woche verging, dann zwei, dann ein ganzer Monat. Nach vierzehn Tagen konnte ich die Codes auf Supermarktquittungen und Werbetafeln dechiffrieren. Nach dreißig Tagen konnte ich Zeichen im Wind deuten und in den Wolken lesen. Am zweiunddreißigsten Tag brach ich nur wenige Blocks von meiner Wohnung in Chinatown entfernt zusammen. Der Unfallarzt des Chinesischen Krankenhauses setzte sich neben mein Bett und studierte meine Krankenakte. Er machte sich Notizen auf Kantonesisch. Ich bin keine Chinesin, daher konnte er nicht ahnen, dass ich seine Aufzeichnungen zu lesen vermochte. Apathisch. Lustlos.
    »Dr. Chang sagt, Sie sind seine Patientin«, sagte er. Der Arzt war jung und sah selbst recht lustlos aus. Aber wenn man Chang kannte, bekam man hier eine Sonderbehandlung, deswegen schützte er Interesse vor.
    Ich nickte. Ich studierte das Muster im Lakenstoff. Ich sah Fraktale in den Kettfäden und quadratische Gleichungen in den Schussfäden.
    »Chang sagt, Sie sind Privatdetektivin. Sie lösen Kriminalfälle?«
    Ich nickte. Ich richtete den Blick auf das Wasser in dem Plastikbecher neben meinem Bett. Wenn ich mich bewegte, zitterte das Wasser und verschoss Quantenpartikel auf der Zeitachse. Ich hatte von dem Phänomen gehört, es aber nie mit eigenen Augen gesehen. Auf einmal konnte ich sehen, was mir vorher verborgen gewesen war, Sachen, von denen ich gelesen, von denen ich geträumt hatte.
    »Falls Sie sich umbringen wollen«, sagte der Arzt vorsichtig, »haben Sie sich eine denkbar ungeeignete Methode ausgesucht. Außerdem wird es sehr, sehr unangenehm werden. Wir werden Sie zwingen zu essen, und wir werden Sie zwingen zu schlafen. Und ich kann mir vorstellen, dass Sie nicht unbedingt über einen Schlauch im Hals ernährt werden wollen.«
    »Was wird einem da verabreicht?«, fragte ich, von plötzlicher Neugier erfasst. »So was wie zermatschtes Essen? Flüssignahrung? Glukose? Tun Sie da Vitamine rein, damit …«
    »Ja, es handelt sich um eine Lösung«, sagte der Arzt.
    »Eine Lösung«, wiederholte ich. Jedes Rätsel hat eine Lösung. Vielleicht war das meine Lösung?
    Der Arzt redete weiter, aber ich hörte nicht mehr zu. Etwas Zeit verstrich, wenigstens kam es mir so vor. Der Arzt war nicht mehr da. Mein Hausarzt, Nick Chang, kam herein. Dr. Chang kannte sich aus mit traditioneller chinesischer Heilkunde, Chi Gong, yogischem Fliegen, Ayurveda und den Schriften von Edgar Cayce. Unter anderem.
    Ich hatte erwartet, er würde mehr Verständnis für mich aufbringen.
    »Ich kann alles sehen«, rief ich, »ich bin nicht krank! Ich mache eine Fastenkur.«
    »Eine Fastenkur plant man«, widersprach Nick. »Du hast einfach mit dem Essen aufgehört.«
    »Ich bin spontan«, sagte ich, »das weißt du doch.«
    »Du hast drei Möglichkeiten, Claire«, sagte er und versuchte, Blickkontakt zu mir herzustellen. »Du bleibst freiwillig im Krankenhaus. Du bleibst gegen deinen Willen im Krankenhaus. Oder du kommst mit mir.«
    Ich sah eine Fliege vorbeisurren, sie bewegte ihre Flügelchen in einem Tempo von genau einhundertacht Schlägen pro Sekunde. Ich las ihre Gedanken. Sie hatte nichts weiter im Sinn, als ihren Lieben daheim etwas zu essen zu bringen. Fliegen! Was hatte ich sie unterschätzt!
    Ich betrachtete Nick, dessen Atem durch seine Nase ein- und ausströmte, dessen Herz schlug, dessen Lunge sich füllte und leerte. Ich sah durch seine Haut hindurch, wie seine Blutzellen sich teilten, abstarben, sich teilten.
    »Mein Auto steht draußen«, sagte er.
    Er wusste, ich war scharf auf sein Auto, einen giftgrünen Karmann Ghia.
    »Darf ich fahren?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte Nick, »auf keinen Fall.«
    Ich sagte nichts mehr. Die Zeit schritt voran, oder zurück; ich war mir nicht sicher.
    »Es ist nicht wie beim letzten Mal«, sagte ich, »es hat nichts damit zu tun.«
    Nick antwortete nicht.

    Nick fuhr. Wir waren Richtung Norden unterwegs, und ich

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