Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
und ich erzählte ihm, was ich wusste. Was nicht viel war. Die Gerüchteküche brodelte. Es wurde verrücktes Zeug erzählt. Angeblich aßen manche Leute Hunde und Babys. Dabei stellte sich hinterher raus, dass die verrücktesten Sachen stimmten, das mit den Leuten auf den Dächern in Lakeview und im Neunten Bezirk zum Beispiel, und dass Arabi und Chalmette praktisch weg waren. Das habe ich Vic erzählt. Ich sagte ihm alles, was ich wusste. Dann schüttelte er mir die Hand und ging. Nein, zuerst hat er mir noch Geld gegeben. Ich sagte ihm, ich brauchte keins, weil es ja nichts zu kaufen gab. Aber er schenkte es mir trotzdem.«
»Und Sie sind sicher«, fragte ich, »dass Sie Vic am Donnerstag gesehen haben?«
»Ja«, sagte Jackson.
»Warum sind Sie so sicher?«
Er sah ein wenig gekränkt aus. »Warum sind Sie sicher, dass heute Donnerstag ist?«, fragte er.
»Donnerstag?«, sagte ich. »Donnerstag? Meinen Sie wirklich? Ich dachte, heute ist Freitag.«
»Donnerstag«, wiederholte Jackson selbstbewusst.
Ich sah mich um. Ein paar Meter entfernt stand eine Gruppe pummeliger Touristen herum und fotografierte das Presbytère.
»Hey!«, rief ich. »Hallo!«
Die Touristen sahen sich ängstlich um, bis sie mich als Geräuschquelle ausgemacht hatten. Was sie nicht beruhigte. Ich hatte mich hastig angezogen und sah nicht gerade wie aus dem Ei gepellt aus. Ich trug Stiefel, Jeans, zwei schwarze Pullis übereinander und einen roten Vintage-Damenmantel mit Hermelinkragen, der seine besten Tage hinter sich hatte. Außerdem litt ich unter einem selbstgemachten Haarschnitt inklusive Bleichversuch, bei dem eine Bastelschere im Spiel gewesen war. Ich sah ein, dass das nicht gerade vertrauenerweckend war.
»Was für ein Tag ist heute?«, rief ich. Die Leute sahen einander fragend an und drehten sich weg. Sie wissen ja, wie das in der Großstadt so ist. Diese schlitzohrigen Hochstapler mit ihren flotten Sprüchen und ihren Fangfragen könnten sonst was im Schilde führen.
Jackson und ich sahen einander kopfschüttelnd an. Touristen.
»Der Tag!«, schrie ich. »Ich will nur wissen, was für ein Tag heute ist.«
Schließlich brüllte ein mutiger, hochgewachsener Mittfünfziger zurück. »Neunter Januar«, rief er.
»Danke. Aber ist heute Donnerstag oder Freitag?«, rief ich.
»Oh«, sagte der Mann. »Donnerstag!« Er lächelte mich mitleidig an und wandte sich seiner Gruppe zu. Dann überlegte er es sich anders, drehte sich wieder um, kam lächelnd herüber und drückte mir einen zusammengefalteten Dollarschein in die Hand, bevor er sich seiner Herde wieder anschloss.
»Gott segne Sie«, sagte er.
»Sie auch«, sagte ich und nahm den Dollar entgegen. Der Mann entfernte sich lächelnd. Jackson starrte den Dollar an. Ich steckte ihn ein. Jackson runzelte die Stirn.
»Also gut«, sagte ich, »es war Donnerstag.« Jackson nickte.
»Woher kannten Sie Vic überhaupt?«, fragte ich.
Jackson zuckte die Achseln. »Ich kenne jeden hier. Und jeder kennt mich. So ist das eben. Beim Dosensammeln kommt man rum. Da sieht man alles.«
Ich fragte ihn, ob er sich an noch etwas erinnern könne, aber er verneinte. Ich fragte ihn, ob ich zurückkommen dürfe für den Fall, dass mir weitere Fragen einfielen, und er bejahte. Ich gab ihm zwanzig Dollar und ging.
Ich glaubte Jackson. Vic Willing hatte am ersten September noch gelebt. Er war nicht in den Fluten umgekommen.
Eine Todesursache ließ sich also ausschließen. Blieben unendlich viele andere übrig.
18
L ali Valentine war von allen Personen, die Andray genannt hatte, die Einzige, die für ein glaubwürdiges Alibi gut war. Ms. Valentines letzte offizielle Adresse war in der Baronne Street in der Innenstadt, nur wenige Häuserblocks vom Garden District entfernt. Andray stammte aus dieser Gegend, die an den Garden District grenzte und hinter der die St. Charles Avenue begann. Zwei Seiten derselben Münze. Sogar die Flutwelle schien den Unterschied gekannt zu haben, war sie doch auf der St. Charles zu einem Rinnsal geschrumpft und in der Prytania Street sanft versickert.
Lalis Adresse gab es nicht mehr. Dort, wo das Haus gestanden hatte, türmte sich ein Haufen fliederfarbener Holzbretter. Zwischen den Brettern sah ich die Überreste eines Zuhauses: eine rosa Socke, eine Dose Tomatensuppe, eine CD von Li’l Wayne, eine Platte von den White Hawks. Am Ende der Straße waren zwei Männer damit beschäftigt, ein Haus auszuräumen. Ich ging hin und fragte nach Lali.
Die Männer waren
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