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Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)

Titel: Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gran
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achtete nicht auf die Strecke, bis wir bereits mitten auf der Golden Gate Bridge waren. Marin County zog als undeutliches Grün vorüber. Die Schilder vor Santa Rosa kamen in Sicht. ORT DER WUNDER, stand darauf. Auf einem waren Zwillinge abgebildet. Der Kopf des einen berührte die Zimmerdecke, während der andere einen halben Meter kleiner war. WIE KANN ES SEIN?, fragte das Schild.
    Der Ort der Wunder war eine Touristenattraktion. Das Haus war auf wundersame Weise abgerutscht, und nun waren alle physikalischen Gesetze auf den Kopf gestellt. Schiefe Wände und schiefe Böden, auf denen Bälle bergauf rollten, während der Führer versicherte, es handele sich garantiert nicht und keinesfalls um eine optische Täuschung. Außerdem gab es eine kleine Herde von Zwergziegen zu bestaunen, zwei heiße Quellen, mehrere Mammutbäume sowie einen Souvenirladen. Dahinter lagen die Ferienhäuser. Das Ganze wurde von einem Privatdetektiv aus San Francisco namens Jake betrieben, der sich hier zur Ruhe gesetzt hatte. Seit Jahren erzählte man mir von diesem Ort. Ich hatte ihn nie aufgesucht. Es war nicht nötig gewesen.
    »Claire wird sich um die Ziegen kümmern«, hatte Nick bei unserer Ankunft zu Jake gesagt. Jake nickte. Ein junger Mann, der vielleicht Nicks Sohn war, vielleicht auch nicht, zeigte mir das Grundstück und meine Hütte. Die Ziegenherde zu versorgen machte eine Menge Arbeit. Vor allem musste man darauf achten, dass die Tiere nicht zu dick wurden. Neben dem Gatter stand ein Verkaufsautomat für Trockenfutter, und die Ziegen hatten gelernt, ausgehungert dreinzuschauen. Die übergewichtigen Ziegen wurden in ein separates Gehege gebracht, wo niemand sie füttern konnte.
    An diesem Abend, ich hatte stundenlang Ziegenmist geschaufelt, schlief ich erstmals wieder. Und ein paar Tage später, nachdem ich geschaufelt, Zäune repariert und mit den Ziegen geschimpft hatte, fing ich wieder zu essen an.
    Nick kam ein oder zwei Mal wöchentlich vorbei, verabreichte mir Kräuter in wechselnden Dosen, füllte die Löcher in meiner Aura und besprach meine Behandlung mit dem verstorbenen Dr. Cayce. Nach drei Wochen schüttete ich ihm mein Herz aus.
    »Es war ein Mädchen«, sagte ich. Ich saß im Bett und schaute aus dem Fenster. Draußen brach fast der Frühling an. »Ein Fall. Eine vermisste Frau. Eine junge Frau. Ich habe sie in der Bucht gefunden. Sie war …«
    Ich konnte nicht weitersprechen.
    »Du siehst ständig Leichen«, sagte er.
    »Sie war wie ich«, sagte ich. »Sie sah aus wie ich.«
    »Und?«, sagte Nick.
    »Sie ähnelte nicht mir«, sagte ich, »sie ähnelte jemandem, den ich kannte.«
    »Das verschwundene Mädchen?«, fragte er. »Deine verschwundene Freundin?«
    Ich nickte.
    »Aber sie war es nicht«, sagte er. »Das alles ist lange her.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Heute weiß ich das.«
    »Du willst zu ihr«, sagte Nick.
    Das traf es nicht genau, aber fast.
    Abends trafen sich alle Mitarbeiter des Ortes der Wunder zum Essen im Haupthaus hinter den Blockhütten. Ich hörte, wie die anderen sich über Pläne und ihre Zukunft austauschten. Ich hielt mich raus und den Kopf gesenkt. Die anderen taten so, als wüssten sie nicht, wer ich war. Alle wussten, wer ich war. Aus irgendeinem Grund hatte sich die Kunde von meinem Krankenhausaufenthalt weit und schnell verbreitet. Jetzt wussten alle Privatdetektive des Landes, dass Claire DeWitt verrückt war. Die meisten hatten es immer geahnt.
    Ich konzentrierte mich ganz auf die Ziegen. Sie waren angenehme Gesellschafterinnen. Sie übersahen die meisten meiner persönlichen Schwächen und Fehler und den Nahrungsentzug, den ich den Dicken antat, sowie meine Unfähigkeit, Ziegisch zu sprechen. Es war eine heilsame Kur. Nach vier Wochen konnte ich in den Wolken keine Zeichen mehr erkennen, dafür war ich selbst gemästet, ausgeruht und einigermaßen geerdet. Wenige Wochen später war ich wieder in der Lage zu arbeiten. Und dann rief Leon an. Ich wollte ablehnen. Ich hatte keine Lust, nach New Orleans zu fliegen. Ich war seit Constances Tod nicht mehr dort gewesen.
    »Sag zu«, meinte Nick bei seinem letzten Besuch. Seine Finger ruhten auf meinem Handgelenk, denn er nahm meinen Puls. »Nimm den Job an. Irgendwann musst du mit deiner Vergangenheit abschließen.«
    »Ich habe nichts abzuschließen«, sagte ich, »da schon gar nicht.«
    »Du lügst«, sagte er.
    »Nein«, widersprach ich.
    »Du weißt es nicht«, sagte Nick, »aber du lügst.«
    Ich vertraute Nick.
    Ich nahm den

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