Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
dreckig und von oben bis unten mit Putz und Staub bedeckt. Einer nahm seine Schutzmaske ab und runzelte die Stirn.
»Lali«, sagte er. »Lali. Ich glaube, die wohnt bei ihren Cousinen in der Magnolia Street. Ich weiß die Hausnummer nicht. Ein blaues Haus, direkt gegenüber von den Sozialwohnungen. Sie können es gar nicht verfehlen, es ist eingeknickt.«
»Eingeknickt?«, fragte ich.
»Sie werden sehen, was ich meine«, sagte der Mann und machte sich wieder an die Arbeit.
Ich bedankte mich, ging zu meinem Truck zurück und hielt inne. An der Kreuzung stand der Kranwagen. Auf der Hebebühne stand ein Mann und werkelte an einem Trafo herum, einem dieser kleinen Kästen, die in etwa acht Metern Höhe am Strommast hingen. In manchen Städten befanden sich die Kästen unter der Erde, in New Orleans oben an den Masten, von denen aus sich die Stromleitungen über die Stadt spannten wie bei einem Fadenspiel.
Der Mann war nicht von Entergy, der Stromgesellschaft mit dem idiotischen Namen. Deren Angestellte trugen blaue Overalls. Dieser Mann war weißgekleidet. Unten im Truck saß ein zweiter Mann, der die Hebel bediente.
»Hey«, rief ich dem Mann auf der Hebebühne zu, »hi!«
Er hörte mich nicht oder gab vor, mich nicht zu hören.
»Hey. Hallo!«
Keine Reaktion. Ich sah, dass er Ohrenschützer trug von der Sorte, wie sie Bauarbeiter tragen, wenn sie den Asphalt aufreißen.
Ich ging zurück zu dem Mann, der mir Lalis Adresse gegeben hatte.
Er lächelte weniger freundlich.
»Verzeihung«, sagte ich, »tut mir leid, Sie noch einmal zu stören. Ich habe mich nur gefragt, was die Männer dahinten tun.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Seltsam, das habe ich mich auch schon gefragt. Von Entergy sind die jedenfalls nicht. Und die Telefongesellschaft hat mit den Strommasten nichts zu schaffen, und da oben hängen nur Trafos. Ich weiß es wirklich nicht. Was glauben Sie?«
Wir betrachteten die weißgekleideten Männer und blickten dann einander an.
»Keine Ahnung«, sagte ich.
»Ich glaube, die führen nichts Gutes im Schilde«, sagte der Mann.
»Ja«, sagte ich, »das glaube ich auch.«
Ich bedankte mich und ging zur Kreuzung zurück. Ich beobachtete den Mann auf der Hebebühne minutenlang, konnte aber nicht erkennen, was er da oben tat. Es sah so aus, als repariere er etwas. Aber Strom gab es in der Straße trotzdem keinen. Vielleicht war er noch nicht fertig?
Vielleicht. Andererseits wurden nirgendwo sonst in der Stadt Stromleitungen repariert. Und an einem kleinen Trafo konnte es ohnehin nicht liegen.
Die Rätsel hörten nie auf. Man konnte nicht alle lösen. Zumindest nicht an einem Tag.
Ich fuhr zur Magnolia-Siedlung. Die Sozialwohnungen waren nicht mehr bewohnt. Ich wusste nicht, ob sie vor dem Sturm aufgegeben worden waren oder danach. Wie viele andere Städte auch machte New Orleans die Sozialsiedlungen dicht, um die Mieter mit Gutscheinen ausgestattet auf die Welt loszulassen.
Auf der anderen Straßenseite entdeckte ich ein schmales blaues Haus. Die Rückwand fehlte. Wo die Rückwand gestanden hatte, waren die Seitenwände eingeknickt.
Auf der Veranda saß ein junges Mädchen von etwa siebzehn Jahren mit hübschem Gesicht und schwarzen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren. Ihre Beine baumelten dort, wo sich früher die Treppe befunden hatte. Neben ihr saß ein etwa zwölf Jahre alter, genauso hübscher Junge. Das Mädchen rauchte eine Zigarette oder einen Joint, den sie an den Jungen weiterreichte, der daran zog und ihn zurückgab.
Ich stellte den Wagen ab, stieg aus und ging auf das Haus zu. Das Mädchen beobachtete mich, der Junge beobachtete einen Baum auf der Straße. Der Baum lag auf der Seite und reckte seine Wurzeln in die Höhe wie Arme. Das Mädchen rauchte weiter.
Aus der Nähe sah ich, dass es sich um einen langen, dünnen, selbstgedrehten Joint handelte, der jedoch so braun und zerknittert aussah, als hätte er Wasser abbekommen. Was immer das Mädchen rauchte, roch säuerlich. Definitiv kein Hasch. Das Mädchen ignorierte mich und gab dem Jungen die Zigarette.
»Bist du Lali?«, fragte ich.
Sie sah mich an.
»Lali?«, fragte ich noch einmal.
Sie nickte.
Ich zog dieselbe Masche ab wie immer, stellte mich und meinen Job und mein Anliegen vor. Während ich sprach, starrte sie auf die Erde unter der Veranda. Anscheinend hörte sie gar nicht zu. Die Zigarette wanderte hin und her.
»Mir geht es nicht so gut«, sagte sie, als ich fertig war. »Ich glaube, ich bin krank.«
Ihr
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