Die Stadt der Toten: Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt (German Edition)
District am Küchentisch saßen und Kaffee tranken. Constance behielt ihre Gefühle für gewöhnlich für sich, aber sie hatte Tränen in den Augen, als sie mir vom Verlust der geliebten Menschen berichtete. Wie sie sagte, hatte Silette Feinde. Kriminelle, die er hinter Gitter gebracht hatte, konkurrierende Detektive, Philosophen und Psychoanalytiker, die seine Theorien ablehnten.
»Wenn ein Mensch verschwindet«, schrieb Silette in Détection, »muss der Detektiv beachten, was dieser Mensch beim Verschwinden mit sich genommen hat – nicht nur die materiellen Dinge, sondern alles, was mit ins Schattenreich gegangen ist und nun fehlt: ungesagte Worte und anderes, das ohne diesen Menschen nicht mehr existiert.«
Etwa zwanzig Jahre nach Détection wurde Silette in seinem letzten Interview mit seiner eigenen Frage konfrontiert: Was war mit seiner Tochter verschwunden?
»Mein Glück«, sagte er. Silette äußerte sich nie wieder öffentlich.
5
A n meinem zweiten Tag in New Orleans hatte ich mir immer noch keinen Mietwagen besorgt. Ich hatte vorgehabt, ihn schon am ersten Tag zu mieten, hatte aber den Flug von San Francisco nach New Orleans verpasst und einen späteren buchen müssen. Zwar war ich überpünktlich am Flughafen gewesen, war aber von der Flugsicherheit aus der Warteschlange gezogen, durchsucht und befragt worden. Ich sage nur: Finger weg von Fällen, deren Protagonisten in der Lage sind, einen auf die Flugverbotsliste zu setzen.
»Niemand wird dem Detektiv für seine Arbeit danken«, schrieb Silette. »Man wird ihn verachten, in Frage stellen, verabscheuen, bespucken. Für ihn gibt es keine Triumphmärsche, keine Blumen und keine Orden. Sein Lohn ist nichts als die hässliche, unerträgliche Wahrheit. Genügt ihm das nicht, hat er den falschen Beruf gewählt und sollte seine Berufung überdenken.«
Ich versuchte, in einer Autovermietung am Convention Center einen Wagen zu mieten. Am Ende gab man mir einen Kleinlaster. Einen riesigen, weißen Pick-up mit Zwillingsreifen hinten für den Fall, dass ich die Straße verlassen und ins Gebirge wollte, um Wildtiere zu überfahren, oder steile Abhänge in brennende Täler hinunter, um Waldbrände zu löschen. Was in Gretna sicher dauernd vorkam.
»Das ist unser beliebtestes Modell«, leierte die Frau hinterm Tresen mit monotonem Südstaatenakzent herunter. »Alle wollen den Pick-up.«
»Ich möchte keinen Pick-up«, sagte ich. »Ich möchte ein Auto.«
»Autos sind aus«, sagte sie, ohne mich anzusehen. »Wir haben nur den Pick-up. Möchten Sie den?«
In San Francisco fuhr ich ein dreitüriges Mercedes-Coupé Baujahr 1978. Es hätte locker auf die Ladefläche des Pick-ups gepasst.
»Nein«, sagte ich, »aber ich nehme ihn trotzdem.«
Ich stellte das Radio meines riesigen Monstertrucks auf den Folksender WWOZ ein und kurvte durch die Stadt. Fünfzehn Blocks hinter dem »Sliver of the River«, wie die Leute die höher gelegene Gegend am Mississippi nannten, begann die Verwüstung. Der Sliver zählte zu den ältesten Teilen der Stadt, er zog die Touristen an, und hier sah New Orleans aus wie früher. Dem Durchschnittsbesucher würde der Unterschied kaum auffallen. Ich sah ein paar eingefallene Veranden, hier und da ein abgedecktes Dach oder ein ausgebranntes Autowrack, das als Müllcontainer diente. Einige Trümmerhaufen waren Sturmschäden, andere einfach nur Schäden.
Hinter dem hoch gelegenen, trockenen Sliver begann eine Übergangszone, jene Gegend, die das Wasser nur kurz heimgesucht und schnell wieder verlassen hatte, ohne allzu hoch anzusteigen. Städtische Dienstleistungen gab es hier offenbar nur stellenweise; viele Straßenlaternen blieben dunkel, überall stapelte sich der Müll. Einige Häuser neigten sich dem Verfall entgegen, andere waren auf dem Weg der Besserung. Schilder mit fehlenden Buchstaben sagten alles: viele OTELs und FRISCHER FLU KREBS und ANDLEIHHAU. In der Übergangszone fielen mir die an Hauswände gesprühten Markierungen auf, Kreise mit einem Kreuz darin und mit Buchstaben in den Kreisvierteln. Einige der Sprühbilder waren leicht zu deuten – 1 Toter, 2 Katzen, 3 Überlebende –, andere blieben rätselhaft: 1x3. TC5.
Vielleicht stammten die Buchstaben von den Schildern. Vielleicht käme alles wieder in Ordnung, wenn man sie wieder einsetzte.
Ein paar Straßen weiter entdeckte ich die ersten Gebäude mit fehlenden Wänden, die möblierte Zimmer zur Schau stellten wie Puppenhäuser. Hier ein Schlafzimmer, dort eine
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