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Die Stadt der Verlorenen

Die Stadt der Verlorenen

Titel: Die Stadt der Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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beste
Essen, das ihm jemals
untergekommen war. Der Mann sagte
während der ganzen Zeit kein Wort, aber die Blicke, mit denen
er Mike maß, waren von einer Mischung aus Zorn und Mitleid
erfüllt – beides Gefühle, die Mike nur zu gut
nachempfinden
konnte.
Die Zeit verging, ohne dass der Krieger zurückkam. Draußen
brach die Schlafenszeit an und auch damit stimmte etwas nicht.
Mike hatte das Gefühl, einmal eine Schlafenszeit gekannt zu
haben, die anders war. Dunkel. Als hätte jemand das Licht am
Himmel ausgeschaltet. Was natürlich vollkommener Unsinn
war.
Sie mussten so lange warten, bis er wieder hungrig wurde und
der Aufseher ihm eine zweite Mahlzeit brachte, und auch
danach vergingen noch einmal einige Stunden. Spät in der Mitte
der Schlafenszeit erst kam der Krieger zurück.
»Hat er irgendetwas gesagt?«, fragte er sofort, als er
den
Raum betrat, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.
»Nein, Herr«, antwortete der Wächter. »Er ist verstockt.
Und wenn Ihr mich fragt –«
»Ich kann mich nicht erinnern, dich gefragt zu haben«, fiel
ihm der Krieger ins Wort. Dann wandte er sich an Mike und
seine Stimme und sein Gesichtsausdruck wurden wieder
freundlicher.
»Hast du ein wenig ausruhen können, Mike?«
»Nicht wirklich«, antwortete Mike wahrheitsgemäß.
»Aber
das Essen war gut und er war sehr freundlich zu mir.« Er
deutete auf den Aufseher. Aus irgendeinem Grund hatte er
plötzlich das Bedürfnis ihn zu verteidigen.
»Das will ich ihm auch geraten haben«, grollte der Krieger.
»Es ist schade, dass du nicht ausgeschlafen hast, aber leider
nicht zu ändern. Wir haben einen langen Marsch vor uns.«
»Herr?«, fragte Mike verwirrt. Der Aufseher in seiner Ecke
wurde hellhörig.
»Ich nehme dich mit«, antwortete der Krieger.
»Aber warum?«, entfuhr es Mike. Die Frage selbst war schon
eine Ungehörigkeit. Es ging ihn nichts an, was der Krieger tat
und warum.
»Das erkläre ich dir unterwegs«, antwortete der Krieger. »Wir
werden eine Menge Zeit zum Reden haben.« Er wandte sich an
den Aufpasser. »Bring einen Mantel und warme Schuhe für den
Jungen. Und beeil dich gefälligst!«
Der Mann rannte regelrecht aus dem Raum. Kaum waren sie
allein, da war der gelassene Gesichtsausdruck des Kriegers wie
weggeblasen. Er wirkte plötzlich nervös und sein Blick irrte
immer wieder zur Tür. Fast als fürchte er sich vor etwas. Aber
natürlich war auch das Unsinn. Krieger fürchteten sich vor
nichts.
Es dauerte nicht lange und der Aufseher kam zurück,
einen
warmen Mantel über dem rechten Arm und ein Paar fester
Schuhe in der linken Hand. Mike zog beides an und sie verließen
zu dritt den Raum verlassen.
Draußen hob der Krieger jedoch die Hand und hielt
den
Wächter zurück. »Du bleibst hier«, sagte er. »Du wirst dieses
Haus nicht verlassen, ehe die Schlafenszeit vorüber ist. Und du
wirst zu niemandem über das sprechen, was du gehört und
gesehen hast. Tust du es, kostet es dich dein Leben. Hast du das
verstanden?«
»Ja, Herr«, sagte der Aufseher. Er war bleich vor Schrecken.
»Dann versuch es nicht zu schnell zu vergessen«, sagte der
Krieger. »Wenn doch, komme ich zurück, und dann ergeht es dir
schlecht.«
Damit verließen sie das Haus. Mike war über die Worte des
Kriegers höchst verwirt, wagte es aber natürlich nicht ihn
anzusprechen, sondern ging schnell und mit gesenktem Kopf
neben ihm her.
Im Lager herrschte Totenstille, was aber angesichts der Zeit
nur normal war. Das gute Dutzend runder, aus Korallen
erbauter Häuser beherbergte etwa hundert Menschen, von
denen der allergrößte Teil Arbeiter und nur eine Hand voll
Wächter waren, und sie alle mussten müde und vollkommen
erschöpft von dem hinter ihnen liegenden Arbeitstag sein.
Wahrscheinlich hatte noch nicht einmal jemand gemerkt, dass
der Krieger zurückgekommen war.
Es schien ihm auch, als ob sich der Krieger besonders
vorsichtig und leise bewegte, fast so, als lege er Wert darauf,
dass niemand etwas von seinem Hiersein bemerkte. Auch das
konnte natürlich nicht sein. Ein Krieger musste auf nichts und
niemanden Rücksicht nehmen.
Sie durchquerten die Siedlung sehr schnell und drangen in den
Wald ein, der ihre nördliche Grenze bildete. Es war die einzige
Richtung, in der sie überhaupt gehen konnten – in der anderen
gab es nur noch die Korallengruben. Nach dreißig oder vierzig
Schritten jedoch blieb der Krieger stehen.
»Du wartest hier«, bestimmte er. »Wenn jemand
kommt,
dann versteckst du dich. Ich

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