Die Stadt des roten Todes - Das Mädchen mit der Maske: Roman (German Edition)
riecht es nach Fisch und Salz und nach Tod. Nur das neue Dampfschiff, die Discovery , liegt blitzsauber und strahlend inmitten von Müll und Verfall. Ich betrachte sie, die Kupferbleche und das riesige Antriebsrad, während ich nachdenklich den kühlen Apfel von einer Hand in die andere werfe.
Vater blickt auf die Wellen hinaus.
»Etwas Unerwartetes ist passiert«, sage ich stockend. Es ist schwer, all das für mich zu behalten. April ist verschwunden. Mutter kann ich es nicht sagen. Elliott würde mich nur auslachen. Und mit Will kann ich natürlich genauso wenig reden. Bleibt also nur Vater übrig.
»Deine Mutter sagt, du hättest dich verliebt.«
Ich bin so perplex, dass ich nicht weiß, was ich darauf sagen soll.
Mich zu verlieben, würde bedeuten, dass ich meinen Schwur und damit Finn aufs Übelste verrate.
»Erzähl mir davon.« Es ist keine Bitte, doch seine Stimme ist warm und freundlich. Das hat er früher immer zu uns gesagt. Wann immer ich mich mit Finn gestritten hatte, schloss ich mich in meinem Zimmer ein und grübelte. Mutter hielt es für das Beste, mich schmollen zu lassen, aber Vater zog es vor, hereinzukommen und sich zu mir zu setzen. Manchmal sogar eine ganze Stunde oder noch länger. Und wenn ich endlich bereit war, in Tränen auszubrechen, sagte er: »Erzähl mir davon.« Was ich auch tat, jedes Mal wieder. Und er hörte mir zu und tat zumindest so, als verstehe er mich.
»Ich bin nicht verliebt«, sage ich leise. »Aber es gibt da jemanden, der mich glücklich machen könnte.« Es ist beängstigend, dieses diffuse Gefühl in Worte zu fassen, das mich unaufhörlich beschäftigt. Was Elliott vorhat, ist sehr wichtig, und ich will ihm auch dabei helfen. Trotzdem gelingt es mir nicht, die Gedanken an Will zu verbannen. Ich könnte etwas empfinden, wenn ich es mir nur gestatten würde. Doch genau das macht mir Angst.
Ich bin nicht sicher, ob Vater sich anhören will, was ich zu sagen habe. Schließlich wird Finn niemals mehr jemandem begegnen, der ihn glücklich machen könnte. Noch während ich versuche, all meinen Mut zusammenzunehmen, drohen mich meine Schuldgefühle zu übermannen.
»Er zieht ganz allein seine beiden Geschwister groß«, sage ich. »Eines von ihnen braucht eine Maske. Sein kleiner Bruder. Für seine Schwester hat er schon eine von seinem ersparten Geld gekauft, aber … Ich habe versucht, eine Maske für Henry zu besorgen, aber dann wurde die Fabrik zerstört.«
»Ein Kind ohne Maske. Das ist sehr gefährlich.« Seine Stimme ist sanft. Ich habe die Maske bekommen. Finn hat sie abgelehnt. Keiner von uns wird das wohl je vergessen können.
Ich will wissen, ob Vater mir die Schuld daran gibt. Jetzt. Auf der Stelle. Und ob er es richtig findet, dass ich einen Schwur geleistet habe, der mir jedes Glück versagt. Der mir nicht gestattet, mit Will glücklich zu werden. Aber was, wenn er Ja sagt? Wie soll ich jemals mit dieser Schuld leben? Und könnte ich ihm jemals wieder vertrauen, wenn er Nein sagen würde?
»Ich bin nur froh, dass du nicht glaubst, in den Neffen des Prinzen verliebt zu sein«, sagt er.
Einen Moment lang herrscht Stille, lediglich durchbrochen von den scharrenden Füßen der Wachleute und vom Geräusch der Wellen, die gegen das Dock schlagen. Ich bin ebenfalls froh. In Elliott verliebt zu sein, wäre … eine Katastrophe.
Ich ahne, dass Vater irgendetwas Bedeutungsvolles und Tiefsinniges hinzufügen will, doch als er das Schweigen schließlich bricht, sagt er lediglich: »Ich wollte schon immer ein Haus am Meer haben. Die See fasziniert mich.«
Er hat also beschlossen, das Thema zu wechseln. Die Enttäuschung ist bitter auf meiner Zunge, und ich schmecke sie mit derselben Intensität wie das Salz in der feuchten Seeluft.
»Glaubst du, dass jemals wieder Frieden in der Stadt herrschen wird?«, frage ich. Meine Stimme klingt völlig normal. Als wäre dies eine völlig normale Unterhaltung.
»Früher dachte ich immer, wir seien fähig, aus unseren Fehlern zu lernen. Aber heutzutage bin ich mir da nicht mehr so sicher. Das Einzige, was uns zusammenhält, ist die Aussicht darauf, eines Tages vielleicht andere Menschen zu finden.«
Er deutet auf das strahlende, nagelneue Schiff.
»Glaubst du …« Meine Stimme zittert leicht. »Glaubst du, irgendwo da draußen leben andere Menschen? Glaubst du, dass es Städte mit Menschen gibt, die die Seuche überlebt haben?« Vater ist der Wissenschaftler, der die Menschheit gerettet hat.
»Ich halte es für
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