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Die Stadt in den Sternen (German Edition)

Die Stadt in den Sternen (German Edition)

Titel: Die Stadt in den Sternen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Schutzgläser vor seinen Augen frei. Trotzdem schloß die Maske nicht dicht ab, sein Bart behinderte ihn. Obwohl er das Ventil ganz aufgedreht hatte, bekam er zu wenig Luft. Er ächzte und keuchte, während er versuchte, mit dem Mädchen Schritt zu halten. Nach einem fast endlosen Marsch zogen sie sich um eine scharfe Biegung. Mona de Fries streckte ihre Hand aus. Sie zog Reanny in eine Nische. Draußen heulte der Sturm an ihnen vorbei.
    »Was ist das?« brüllte Reanny in das Funkgerät, das in die Sauerstoffmaske eingebaut war.
    »GRID-Stau«, gab sie schweratmend zurück.
    Reanny hob den Kopf. Der Wind drückte ihn sofort gegen die Wand. Staunend betrachtete Reanny die unverständliche Konstruktion. Vor ihnen erstreckte sich eine fast fünfzig Meter breite Plattform. Die Wand, an der sie beide lehnten, wirkte wie die Seitenfläche eines ungeheuer großen Zylinders. Unwillkürlich mußte Reanny an eine gigantische Hutkrempe denken. Auch die Plattform folgte in ihrem Verlauf der Krümmung der Zylinderwand. Vom Rand der Plattform führten in regelmäßigen Abständen mathematisch exakt gekrümmte Verstrebungen bis zu einer Linie hoch über ihnen.
    Reanny kniff die Augen zusammen und überlegte. Die regelmäßige Anordnung der riesigen, gebogenen Lamellen erinnerte ihn an etwas, das er von Semisopochnoi her kannte. Er brauchte nicht lange, bis es ihm einfiel.
    Damals – vor mehr als zwanzig Jahren – war einer der letzten Blauwale an den Strand der Insel gespült worden. Reanny war damals noch ein Kind gewesen. Tagelang hatten die Männer der Insel den Wal zerlegt. Nur ein riesiges Gerippe aus gebogenen Knochen war übriggeblieben. Und genau daran erinnerte sich Reanny, als er jetzt die endlose Reihe der gigantischen Lamellenbögen am äußersten Rand der schwebenden Stadt betrachtete.
    Mona de Fries hantierte an einem kleinen Schaltkasten in der Mitte der Nische. Sie schimpfte leise vor sich hin. Plötzlich geschah etwas, das Reanny zusammenzucken ließ. Aus dem glatten, fugenlosen Boden der Plattform hob sich langsam eine schnurgerade Geländerkonstruktion. Mona de Fries nickte Reanny zu und hangelte sich zum Rand der Plattform. Der Inselfarmer zögerte einen Augenblick. Er wußte nicht, was das Mädchen bezweckte.
    Als er ihr folgte, hatte sie bereits zehn Meter Vorsprung. Doch Reanny holte schnell auf. Fast gleichzeitig kamen sie am äußeren Rand der Plattform an. Wieder schob Mona den Mann von der Erde in eine Nische. Es war eine Aushöhlung am Fuß einer der zwei Meter starken Lamellen. Sie hielten sich gegenseitig fest. Und dann sah Peter Reanny plötzlich die Erde. Seine Nackenhaare sträubten sich, als er nach unten blickte. Er hielt die Luft an, während seine Augen fast aus den Höhlen traten. Haushohe Wellen, feuerspeiende Vulkane, Stürme und meterhoher Schnee auf Semisopochnoi, das alles kannte er, aber es war nichts gegen das phantastische Bild, das sich ihm jetzt bot.
    Der große Ball aus dichten Wolken ließ Reannys Blut in Wallung geraten. Ungläubiges Staunen und ein kribbelnd durch seine Glieder kriechendes Entsetzen lähmten ihn. Gleißende weiße Flächen und grauschwarz aufgetürmte Wolkenberge waren selbst aus dieser Höhe deutlich zu erkennen. In tausendfachen Variationen mischten sich Pilzformationen mit farbigen, zirrusförmigen Wolkenschleiern.
    Das war die Erde – seine Erde.
    Reanny konnte sich nicht sattsehen an dem faszinierenden und gleichzeitig unheimlichen Bild. Die Ränder des gigantischen Wolkenballs waren von einer Korona aus Licht eingefaßt. Farben, die der Inselfarmer noch nie gesehen hatte: helles, leuchtendes Blau, sauberes Türkisgrün, das tiefe, satte Violett zwischen den letzten Ausläufern der irdischen Lufthülle und dem erschreckenden Schwarz des Weltraumes. Er klammerte sich fest. Er hatte das Gefühl, ins Nichts zu fallen. Sein Magen revoltierte. Alles in ihm wehrte sich gegen das, was er sah. Mit einem Ruck riß er sich los. Er drehte sich um, schlug die Hände vor seine Schutzmaske und sackte zusammen. Er kauerte sich in eine Ecke der Nische, während sein Körper von einem verzweifelten Aufschluchzen erschüttert wurde.
    »Nein!« keuchte er immer wieder. Es war verrückt – vollkommen absurd. Er hatte gewußt, daß LEVITAD eine schwebende Stadt war, und doch erschien ihm die Wahrheit nun unerträglich, sobald er sie mit eigenen Augen sehen mußte. Kein dreidimensionaler Film konnte das Ungeheuerliche dieser phantastischen Realität wiedergeben. Und irgendwo

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