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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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bereits vertraut erschien. »Ich bin lieber allein als in schlechter Gesellschaft. Womit ich natürlich nicht dich meine. Und auch dich nicht, Mikado«, sagte sie nach einem Blick in den Wagen.
    »Abigale vermisst dich«, sagte der Mann auf dem Beifahrersitz.
    »Wenn sie mich wirklich vermisst, hätte sie längst was tun können«, erwiderte Louise scharf. »Aber hat sie jemals ganz offen gegen Hannibal Stellung bezogen?« Sie deutete auf Benjamin. »Das ist der Neue.«
    »Ich bin Katzmann.« Der Fahrer streckte ihm die Hand entgegen, und Benjamin ergriff sie.
    »Harthman«, sagte er. »Benjamin Harthman.
    »Nein, nur Benjamin«, warf Louise ein. »Und für mich Ben.«
    Katzmann drückte fest zu. Er war kräftig gebaut, das Gesicht breit und markant, mit einer langen, krummen Nase, dünnen Lippen und einer weißen Narbe auf der einen Wange, die sichelförmig bis zum Unterkiefer verlief. Struppiges blondes Haar fiel ihm auf breite Schultern, die in einer gefütterten Leinenjacke steckten. Benjamin schätzte ihn auf vierzig, und er wirkte wie ein Nordeuropäer. Vielleicht ein Schwede oder Norweger. Im Halfter am Gürtel steckte ein Revolver mit abgewetztem Griff.
    »Steigt ein«, sagte Katzmann. »Wir wollten ohnehin zurück.«
    Wenige Sekunden später saßen sie im Fond, und der Wagen rollte an dem Gebäude mit dem aufgelassenen Café vorbei über die asphaltierte Straße. Das Licht der Scheinwerfer stach durch die Nacht.

    »Ist euch irgendwas aufgefallen?«, fragte der Beifahrer namens Mikado, ein dunkler, südländischer Typ, kleiner und schmaler als Katzmann. Er hatte ein Gewehr – der Schaft im Fußraum, der Lauf am Seitenfenster –, das ebenso alt wirkte wie Katzmanns Revolver. Seine Finger spielten dauernd an den Knöpfen und Reglern eines mobilen Funkgeräts herum, das aus der Zeit vor den ersten Handys zu stammen schien und in dessen Lautsprecher es zischte und knackte. Ein Walkie-Talkie, erinnerte sich Benjamin.
    »Zwei Schatten«, antwortete Louise. »Es hat nicht viel gefehlt, und sie hätten uns erwischt.«
    »Du hast mir noch immer nicht gesagt, warum wir vor ihnen geflohen sind«, wandte sich Benjamin an sie. »Warum sind die Schatten gefährlich?«
    »Wenn sie dich berühren, verlierst du das Bewusstsein. Später erwachst du irgendwo in der Stadt, an einem Ort, den du vielleicht nie zuvor gesehen hast. Und du hast schreckliche Bilder im Kopf, ohne zu wissen, ob es echte Erinnerungen sind oder die Reste von Albträumen.« Sie schauderte. »Kowalski hat es zweimal erwischt, und einmal war es so schlimm, dass es ihn umbrachte. Was vielleicht erklärt, dass er übergeschnappt ist.«
    »Der Schock, Benjamin«, sagte Katzmann. »Er ist die eigentliche Gefahr. Durch den Kontakt mit einem Schatten kommt es zu einem psychischen Schock, der fast so schlimm ist wie der des Todes. Wir wissen nicht, was mit den Leuten geschieht, die von den Schatten entführt werden. Niemand von uns möchte glauben, dass die albtraumhaften Bilder, die später das Erwachen begleiten, auf tatsächliche Ereignisse zurückgehen. Manchmal träumen die Betreffenden von einem
Feuer, das sie verbrennt, von einem Gebäude, das in Flammen steht und aus dem sie nicht fliehen können. Jedenfalls kommen die Schatten nicht in die Innenstadt. Solange wir dort bleiben, gibt es nichts zu befürchten.«
    »Kennst du das neueste Gerücht, Louise?«, fragte Mikado. Seine Finger blieben an den Knöpfen des Funkgeräts in Bewegung, und das laute Kratzen aus dem Lautsprecher übertönte gelegentlich das Brummen des Motors.
    »Ich bin ganz Ohr.«
    »Angeblich versuchen die Streuner, sich die Schatten dienstbar zu machen. Es soll irgendetwas mit dem gelben Haus zu tun haben.«
    Louise lachte. »So ein Quatsch!« Sie bemerkte Benjamins fragenden Blick. »Das gelbe Haus ist eine Art … Legende.«
    »Es ist mehr als eine Legende«, sagte Mikado. »Ich hab’s selbst gesehen, bei einer Patrouille.«
    »Und wie lange?«
    »Na schön, nur für ein paar Sekunden. Aber ich erinnere mich deutlich daran!«
    Louise zuckte die Schultern und sagte zu Benjamin: »Das gelbe Haus erscheint gelegentlich in der Stadt, und zwar immer an einer anderen Stelle. Bisher ist es noch niemandem gelungen, es zu betreten. Weil es immer nur für ein paar Sekunden da ist und wieder verschwindet, wenn sich ihm jemand nähert.«
    »Wie dem auch sei, irgendetwas geht vor«, sagte Katzmann und lenkte den Wagen über einen Platz. »Hannibal glaubt, dass die Streuner eine größere Sache

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