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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Leute wegwerfen.«
    »Stattdessen finden sie die ermordete Frau.« Einige meiner Nachrichten waren inzwischen auf dem PC angekommen. Eine stammte von der Kriminaltechnik; ich öffnete sie und scrollte durch die Fotos vom Tatort.
    »Stattdessen finden sie die ermordete Frau.«
 
    Kommissar Gadlem rief mich in sein Büro. Seine kultivierte Theatralik, seine manierierte Höflichkeit wirkten plump, aber er hatte mir immer freie Hand bei meinen Ermittlungen gelassen. Ich saß da, während er auf seiner Tastatur klimperte und fluchte. Am Rand seines Monitors sah ich kleine Zettel kleben, wahrscheinlich Passwörter für die Datenbanken.
    »Also?«, fragte er. »Die Wohnsiedlung?«
    »Ja.«
    »Wo liegt sie?«
    »Süden. Vorstadt. Junge Frau, Stichwunden. Shukman hat sie in Arbeit.«
    »Prostituierte?«
    »Möglich.«
    »Möglich, so, so.« Er legte die gewölbte Hand hinter das Ohr. »Ich höre den zweifelnden Unterton. Nun gut, weitermachen, folgen Sie Ihrer Nase. Lassen Sie's mich wissen, wenn Ihnen danach zumute ist, mich in das Warum, Weshalb, Wieso einzuweihen. Wer ist Ihr zweiter Mann?«
    »Naustin. Und ich habe eine Kollegin von der uniformierten Truppe mit ins Boot geholt, Corwi. Sie besitzt Ortskenntnisse, die uns nützlich sein können.«
    »Es ist ihr Revier?« Ich nickte. Mehr oder weniger. »Was liegt außerdem noch an?«
    »Was ich auf dem Schreibtisch habe?« Ich setzte ihn ins Bild. Trotz der offenen Fälle gab er mir freie Hand, mich weiter um das Schicksal von Fulana Ix zu kümmern.
 
    »Und? Waren Sie während der ganzen Prozedur dabei?«
    Es ging auf zehn Uhr abends zu, seit dem Fund der Leiche waren mehr als vierzig Stunden vergangen. Corwi saß am Steuer, in Uniform, obwohl wir in einem Zivilfahrzeug unterwegs waren. Sie chauffierte uns durch die Gegend um die GunterStrász. Ich war gestern erst spät nachts nach Hause gekommen und nach einem morgendlichen Streifzug, allein, durch eben diese Straßen, nun schon wieder hier.
    In den Hauptstraßen gab es stellenweise Deckungsgleichen, einige weitere hier und da verstreut. Aber so weit außerhalb war die Gegend größtenteils total. Wenige Stilmittel antiker Besź-Architektur, wenige steile Dächer oder bleiverglaste Fenster: Das waren unterhalb der Gewinnspanne krebsende Fabriken und Lagerhallen; ein paar Jahrzehnte alt, eingeworfene Fenster, auf halber Kapazität fahrend, falls überhaupt noch produzierend. Mit Brettern vernagelte Fassaden. Lebensmittelläden hinter Schutzgittern. Gebäude in Besźels klassischer Architektur, jedoch halb verfallen. Manche Häuser besetzt und zu religiösen Stätten und Drogenkneipen umfunktioniert, manche ausgebrannt und nur mehr rudimentäre Kohleskizzen ihrer selbst.
    Auch wenn kein Gedränge herrschte, waren doch Passanten unterwegs. Sie wirkten wie Teile der Landschaft, als wären sie immer da. Am Vormittag war es ruhiger gewesen, aber nur wenig.
    »Haben Sie zugesehen, wie Shukman die Leiche ausgebeinelt hat?«
    »Nein.« Ich schaute aus dem Fenster, suchte das, woran wir vorbeifuhren, auf meinem Stadtplan. »Als ich kam, war schon alles vorbei.«
    »Zimperlich?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Tja ...« Sie griente und lenkte den Wagen um eine scharfe Kurve. »Das müssen Sie sagen, auch wenn's anders wäre.«
    »Stimmt«, sagte ich, obwohl es nicht so war.
    Sie machte mich auf diesen oder jenen Orientierungspunkt aufmerksam. Ich sagte ihr nicht, dass ich früher am Tag bereits in Kordvenna gewesen war und mir alles angeschaut hatte.
    Corwi hatte nichts unternommen, um ihre Uniform zu tarnen. Niemand, der Grund hatte, misstrauisch zu sein, sollte auf den Gedanken kommen, wir wollten ihn hinters Licht führen. Und die Tatsache, dass wir nicht in einem Brikett unterwegs waren - so nannten wir die schwarzblauen Einsatzfahrzeuge -, signalisierte, dass auch keine Verhaftungen oder Razzien ins Haus standen. Komplexe Abmachungen!
    Die meisten Menschen in unserer Umgebung befanden sich in Besźel, deshalb sahen wir sie. Was Kleidung anging, waren hierzulande von jeher einförmige, nichtssagende Schnitte und Farben vorherrschend. Nicht umsonst sprach man von Besźel als der Stadt, in der Mode nicht nur konservativ ist, sondern konserviert. Wirtschaftliche Not verstärkte die Tendenz zu äußerlicher Tristesse. Von den Ausnahmen waren einige, stellten wir bei genauerem Hinschauen fest, anderswo, deshalb nichtsahen wir sie geflissentlich, aber die jüngeren Besź waren ebenfalls bunter ausstaffiert als ihre Eltern, gaben

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