Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden
Und – Action!
S eit den verregneten Sommerferien sind fünf Wochen ins Land gezogen. »Gefühlte Zeit: fünf Jahre!«, seufzt eine Kollegin. Draußen sind 29 Grad. Die Sonne brennt, dafür regnet es oben im Kunstbereich wenigstens nicht durch die Decke. Mittlerweile funktioniert unsere Pausenklingel wieder, und viele Schüler sind erleichtert, dass der Physiklehrer, der nie eine Uhr dabei hat, seinen Unterricht nicht mehr überziehen kann.
Im Lehrerzimmer hängt ein riesiger Wandkalender. Dort streicht Kollege Baumgarten mit seligem Lächeln die Tage bis zu seiner Pensionierung ab. Jeden 10. Tag leert er eine Kaffeetasse mit Prosecco und singt: »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!« Daraufhin hat eine junge Frau ihr Referendariat geschmissen. So einen Beruf will sie nicht, in dem man sehnsüchtig auf die Ferien oder auf die Pensionierung wartet. Auch der Chemie-Quereinsteiger ist schnell wieder verschwunden. Angeblich schiebt er lieber Schichtdienst in einem Call-Center, als Diskussionen mit Zehntklässlern über den Bildungswert der anorganischen Chemie zu führen.
Die Pausenklingel funktioniert zwar, dafür lässt sich der Feueralarm nicht auslösen. Als auf der Toilette jemand am Handtuchhalter zündelt, muss der Hausmeister von Raum zu Raum rennen und alle einzeln rausscheuchen. Das ist schwierig, weil die Sensationslust weitaus größer ist als die Angst vor Gefahr. Nach massiven Elternprotesten (Lehrerproteste interessieren in der Regel keine Sau) stellt der Schulträger eine Überprüfung und eventuelle Reparatur in Aussicht. Als Provisorium werden in allen Lehrerstützpunkten mobile Alarmanlagen deponiert: Dosen mit Pressluft. Man drückt auf einen Knopf und sie heulen los. Kollegin Püschel hat die Einführungsveranstaltung versäumt und betätigt neugierig den Auslöser. Die Schüler auf der Etage verstehen den durchdringenden Lärm sofort als Zeichen zum Aufbruch. Kollegin Püschel lässt sich krankschreiben: Gehörtrauma.
Am Anfang des Schuljahres bin ich entzückt, dass in meiner 10. Klasse nur 24 Schülerinnen und Schüler auf meine Fachkenntnisse warten. Doch dann kommen täglich Neuzugänge von allerlei anderen Etablissements, bis die Klasse brechend voll ist und ich die Mittelstufenleitung weinend um Erbarmen bitte. Es fehlen immer noch Stühle und Lehrbücher. Ich besorge im Baumarkt zwei Klappstühle. Morgens stehe ich 20 Minuten eher auf, um rechtzeitig den Kopierer zu erreichen. Aber die Kolleginnen, die gleich in der Schule übernachten, stehen schon Schlange.
Die Renovierung der Musikräume konnte leider in den Sommerferien nicht abgeschlossen werden. Rumänische Fachkräfte durchbrechen immer noch Wände, der Steinway-Flügel steht verstaubt im Flur. Ich halte mobilen Musikunterricht ab. Manchmal gehen mir Schüler sogar aus dem Weg oder halten die Tür auf, wenn ich mit Ghettoblaster, Gitarre und Rucksack einen Unterrichtsraum suche.
Mittlerweile gehe ich davon aus, dass sich mein Stundenplan nicht mehr wöchentlich ändert. Die zehn Springstunden empfinde ich als Erleichterung, kann ich doch endlich mal mit anderen in Ruhe Erfahrungen austauschen. Zum Beispiel mit dem pensionierten Kollegen, ohne den wir aufgeschmissen wären. Er deckt den gesamten Physikunterricht der Mittelstufe ab. Einmal in der Woche kommt Sigrid vorbei, die nach 40 Jahren Schuldienst heiter und gelöst wirkt. Sie macht gerade ihren Flugschein. Sigrid bringt uns ihre alten Bücher, Filme, Arbeitsblätter und Schul-T-Shirts vorbei, die wir anschließend dezent entsorgen.
Der neue Schulleiter hat einen Evaluationsbeauftragten berufen, einen Homepage-Think-Tank und einen Boxer, der die Arbeitsgemeinschaft »Faire Fäuste« leitet. Außerdem hat er in der Teeküche aufgeräumt und uns vorwurfsvoll auf das Haltbarkeitsdatum der Obstsäfte und Milchtüten hingewiesen. Er will in den ersten Wochen alle mal »anhospitieren«, aber er muss noch so viele Einstellungsgespräche führen, dass er es bisher nur zu der schüchternen Französischlehrerin geschafft hat. Das aber dann gleich dreimal. Sie sieht auch wirklich niedlich aus.
Den Mathekollegen hat der neue Schulleiter den täglichen »Kreis des Vertrauens« verordnet. Der hat ihn bei der Fußball-WM beeindruckt. Vielleicht gibt es jetzt gezieltere Mathe-Flanken und geistige Elfmeter. Und nicht immer nur fachdidaktisches Abseits und pädagogische Eigentore.
Die jüngeren Kollegen haben sich in einem Lehrerzimmer im dritten Stock verschanzt und knobeln aus, wer welche
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