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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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zufrieden, wenn ich mit den Zähnen knirschte und ihn einen Geier schimpfte, einen Leichenfledderer.
    »Ihr wisst, was ihr von mir zu hören bekommt«, begrüßte ich sie. Wir standen uns vom Flatterband getrennt gegenüber. »Heute Nachmittag findet eine Pressekonferenz statt, im Präsidium.«
    »Um welche Uhrzeit?« Kameras klickten.
    »Man wird sie informieren, Petrus.«
    Rackhaus sagte etwas, das ich überhörte. Als ich mich abwandte, geriet das von schmutzigen Backsteinhäusern gesäumte Ende der GunterStrász in mein Blickfeld. Dreck tanzte im Wind. Gesichtslose Trostlosigkeit, die überall auf der Welt hätte sein können. Eine ältere Frau entfernte sich langsam schlurfend. Sie wandte den Kopf und schaute mich an. Die Bewegung erregte meine Aufmerksamkeit, ich erwiderte ihren Blick. Es kam mir vor, als ob sie mir etwas sagen wollte. Mein Blick erfasste ihre Kleidung, ihren Gang, die Haltung, das Mienenspiel.
    Mich durchfuhr ein Ruck, als mir klar wurde, dass die Frau sich nicht auf der GunterStrász befand, dass ich sie nicht hätte sehen dürfen.
    Sofort und erschrocken wandte ich den Blick ab, sie ebenso. Ich hob den Kopf, verfolgte den Landeanflug eines Flugzeugs. Als ich nach einigen Sekunden den Kopf wieder senkte, schaute ich konzentriert statt auf die alte, schweren Schrittes ihren Weg fortsetzende Frau in der fremden Straße, auf die Fassaden der nahen und hiesigen GunterStrász in der ganzen Pracht ihrer grauen Freudlosigkeit.

2. Kapitel
 
    Ich ließ mich von einem Constable im Norden von Lestov absetzen, in der Nähe der Brücke. In dieser Gegend kannte ich mich kaum aus. Selbstverständlich war ich auf der Insel gewesen, hatte die Ruinen besichtigt, als Schüler und einige Male danach, aber meine Kreise waren anderswo. An der Front von Pastetenbäckern und kleinen Handwerksbetrieben angebrachte Schilder wiesen die Richtung zu örtlichen Zielen, und ich folgte ihnen zu einer Straßenbahnhaltestelle auf einem hübschen Marktplatz. Ich wartete zwischen einem Pflegeheim, dessen Logo ein Stundenglas war, und einem Gewürzladen, aus dem es betörend nach Zimt duftete.
    Blechern klingelnd kam die Tram. Ich stieg ein, und obwohl der Wagen halb leer war, blieb ich stehen. Auf der Fahrt Richtung Norden, ins Zentrum von Besźel, würden noch weitere Passagiere zusteigen. Ich stand am Fenster und schaute auf die vorbeiziehenden, unbekannten Straßen.
    Die Tote, ihre unansehnlich verkrümmte Gestalt unter der alten Matratze, von Aasfressern beschnüffelt. Ich nahm mein Handy und rief Naustin an.
    »Wird die Matratze nach Spuren untersucht?«
    »Denke schon, Sir.«
    »Haken Sie nach. Nach dem Patzer von Briamiv und seinem Kollegen heute Morgen möchte ich sichergehen, dass sie nicht noch einen Bock geschossen haben.« Vielleicht war unsere Fulana Ix neu im Geschäft. Vielleicht, wenn wir sie eine Woche später gefunden hätten, wäre ihr Haar wasserstoffblond gewesen.
    Diese Gebiete am Flussufer sind labyrinthisch, viele Gebäude sind hundert oder mehrere hundert Jahre alt. Die Tram ratterte auf ihrem Gleis durch Seitenstraßen, wo Besźel - etwa die Hälfte von allem, an dem wir vorbeikamen - sich von beiden Seiten über uns zu neigen schien. Wir schaukelten im Schneckentempo hinter hiesigen Autos und solchen anderswo, kamen zu einer Deckungsgleiche, wo die zu Besźel gehörenden Häuser Antiquitätenläden waren. Dieses Gewerbe hatte floriert, wie jedes andere in der Stadt, wenigstens ein paar Jahre lang, als die Leute nach und nach ihre Familienerbstücke poliert und aufgehübscht für ein paar Besźmark zum Kauf anboten.
    Einige Leitartikler verbreiteten Optimismus. Während die politischen Führer sich im Rathaus beharkten wie eh und je, arbeiteten viele aus der jüngeren Generation aller Parteien gemeinsam daran, Besźel voranzubringen. Jeder Tropfen ausländischen Investments - und zur allgemeinen Verwunderung wurde investiert - stärkte die Wirtschaft. Sogar ein paar Hightech-Firmen hatten sich kürzlich angesiedelt, wenn auch schwerlich angelockt von Besźels pompöser Selbstbeschreibung als »Siliziumdelta«.
    Bei der Statue von König Val stieg ich aus. Das Stadtzentrum war belebt: Ich manövrierte im Zickzack durch das Menschengewimmel, entschuldigte mich bei Einheimischen und Touristen, nichtsah geflissentlich die anderen und hatte endlich den Betonklotz des Präsidiums erreicht. Zwei Touristengruppen trabten hinter ihren Fremdenführern her. Ich blieb auf halber Treppe stehen, schaute die

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