Die standhafte Witwe
durcheinanderbrachte. Er sah keine Angst, sondern nur Trotz in ihren Augen. »Heute abend zeige ich dir, was einer Frau geschieht, die ihren Platz vergessen hat«, flüsterte er drohend.
Er wollte ihr Angst einjagen, stellte aber fest, daß er es nicht geschafft hatte, als Johanna nur den Kopf schüttelte.
»Was ist in dich gefahren?« fragte er noch einmal.
»Du bist zu dumm, um das jemals begreifen zu können«, gab sie zurück.
»Die Highlander haben ihr das angetan!« schrie Williams.
Raulf nickte. »Es gibt keine Ähnlichkeit zwischen uns und diesem schottischen Abschaum«, murmelte Raulf.
Sie nickte, und ihre rasche Zustimmung ließ Raulf verdutzt innehalten. Aber schnell präzisierte sie ihre Meinung. »Endlich sagst du mal etwas Wahres«, begann sie. »Es gibt keinerlei Ähnlichkeit zwischen dir und meinem Gabriel, und dafür danke ich Gott. Wie oft hast du mir geschworen, mich zu lieben und es mir dann mit deinen Fäusten bewiesen? Gabriel hat mir nicht ein einziges Mal gesagt, daß er mich liebt, und doch weiß ich es. Er würde niemals gegen mich oder gegen eine andere Frau die Hand erheben. Er ist mutig und gut und hat ein Herz und eine Seele, die so rein sind wie die eines Erzengels. O nein, ihr beide seid euch bestimmt nicht ähnlich.«
»Wie kannst du es wagen …!« Raulfs Adern traten nun deutlich hervor, so heftig brüllte er.
Sie wußte, daß sie ihn nur noch mehr reizte, aber sie konnte sich einfach nicht mehr zurückhalten. Er hatte eine derart übersteigerte Meinung von sich selbst, und es wurde Zeit, daß ihn jemand aufklärte.
»Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist. Das hat meine Mutter immer gesagt, aber ich bezweifle, daß einer von euch den Sinn begreift. Ich habe zufällig sehr wertvolle Freunde. Mein Clan ist meine Familie, und jeder würde für den anderen sein Leben geben. Es sind alles stolze und ehrbare Männer und Frauen.«
Sie schüttelte angewidert den Kopf. »Nay, ihr könnt es nicht begreifen. Wie auch? Ihr wißt ja nicht einmal, was Ehre bedeutet. Seht doch nur eure Freunde an. Ihr könnt euch nicht einmal den Rücken zukehren, aus Angst, daß ihr ein Messer hineinbekommt. Ihr beide würdet doch eure eigenen Väter umbringen, wenn ihr dadurch mehr Macht bekämt. Du, Raulf, hast jedes der zehn Gebote übertreten, und dein König ebenfalls. Du und Williams habt gemeinsam mit dem König ein scheußliches Verbrechen nach dem anderen begangen. Eines Tages werdet ihr für all eure Sünden büßen, und sehr bald schon dafür, daß ihr mich festgehalten habt. Glaubt ja nicht, daß ihr damit davonkommt. Wenn mein Mann überhaupt eine Schwäche hat, dann die, daß er sehr besitzergreifend ist. Oh, Gabriel wird mich ganz bestimmt holen kommen. Ihr habt es gewagt, ihm die Frau zu nehmen, die er liebt. Er wird kein Erbarmen haben, und ich bezweifle, daß Gott es euch zeigt, wenn ihr dann tot seid. Du bist ein Teufel, Raulf, und Gabriel ist mein ganz eigener Erzengel. Er wird dich vernichten.«
Raulf konnte seine Wut nicht mehr beherrschen. Sein Gebrüll hallte von den Wänden wider. Johanna griff vorsichtshalber nach ihren Dolch.
Dann kam Raulf auch schon auf sie zugestürzt. Noch ein paar Schritte von ihr entfernt hob er bereits die Faust, um ihr den ersten Schlag zu versetzen. Doch ein Pfeil, der glatt durch seine Hand drang, hielt ihn auf. Brüllend vor Zorn und Schmerz taumelte Raulf herum und suchte nach dem Angreifer.
Sie waren überall.
Die Balustrade quoll von Männern im MacBain-Plaid über. Sie hatten die ganze Halle eingekreist, und jeder außer einem hatte seinen Bogen gespannt. Alle Pfeile zeigten auf Raulf.
Raulf hatte nur ein oder zwei Sekunden Zeit, den Riesen zu erkennen, der direkt über Johanna stand. Gabriels Augen waren auf den Baron geheftet, während er langsam einen zweiten Pfeil an die Sehne legte.
Dieser Pfeil beendete sein Leben. Er drang mitten durch seine Stirn. Ein weiterer Pfeil folgte, dann noch einer und noch einer, und die Kraft der gleichzeitig sirrenden Pfeile schleuderten Raulf zurück und ließen seinen Körper sich aufbäumen, bis er schließlich gespickt mit über fünfzig Pfeilen auf dem Boden zusammenbrach.
Luzifer holte seine Seele.
Johanna drehte sich um und sah nach oben, wo Gabriel stand, neben sich Nicholas. Beide reichten Bogen und Köcher an die Soldaten hinter ihnen und kamen dann herunter. Alle anderen Männer legten vorsichtshalber einen neuen Pfeil an. Ihr Ziel war nun Baron Williams, der sich in einer
Weitere Kostenlose Bücher