Die standhafte Witwe
immer noch, und er akzeptierte die Wahrheit ohne eine Andeutung von Schuld. MacKechnie glaubte nicht, daß er von der Sünde der Wollust gepackt war, nur weil er den Glanz in ihrem Haar entdeckte oder ein bißchen länger als nötig auf ihr liebliches Gesicht starrte. Für ihn war Lady Johanna nichts weiter als eine Kreatur Gottes, ein wunderbares Exemplar allerdings, das einmal mehr die Fähigkeit des Herrn bewies, Perfektion zu schaffen.
Mit ihren hohen Wangenknochen und ihrem blonden Haar war sie durch und durch Sächsin. Sie war ein wenig kleiner als andere, doch der Priester fand, daß sie durch ihre königliche Haltung größer wirkte.
Aye, ihre Erscheinung gefiel dem Priester, und er war sicher, daß sie auch Gott gefiel, denn sie besaß ein freundliches Herz.
MacKechnie war ein mitfühlender Mann. Es tat ihm in der Seele weh, zu wissen, wie grausam das Schicksal dieser Lady bereits jetzt mitgespielt hatte. Eine unfruchtbare Frau brachte dem Königreich keinen Nutzen. Ihre ganze Daseinsberechtigung war von ihr genommen worden. Das Kreuz, das sie zu tragen hatte – das Wissen um ihre eigene Minderwertigkeit – war gewiß der Grund, warum er sie nie hatte lächeln sehen.
Und nun erhielt sie erneut einen Schicksalsschlag.
»Könnten wir einen Augenblick mit Euch sprechen, M’lady?« fragte Keimet.
Die Worte des Haushofmeisters mußten sie gewarnt haben, daß etwas nicht stimmte. Ein wachsamer Ausdruck stahl sich in ihre Augen, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Sie nickte und wandte sich langsam um. um in die Kapelle zurückzugehen.
Die beiden Männer folgten ihr. Im Inneren blieb Lady Johanna in der Mitte des Ganges zwischen den hölzernen Bänken stehen und wandte sich ihnen zu. Der Altar befand sich direkt hinter ihr. Vier Kerzen erhellten die Kapelle nur spärlich. Ihre Flammen flackerten in den gläsernen Kugeln, die jeweils eine Handbreit voneinander entfernt auf der marmornen Oberfläche des langen Altars standen.
Lady Johanna straffte die Schultern, legte die Hände ineinander und sah den Verwalter fest an. Sie schien sich gegen die schlechten Nachrichten zu wappnen. Ihre Stimme war ein sanftes Flüstern, das frei von jeglicher Emotion war. »Ist mein Mann nach Hause zurückgekehrt?«
»Nay, M’lady«, antwortete Keimet. Er warf dem Priester einen Blick zu, erhielt ein ermutigendes Nicken und platzte dann heraus: »Soeben sind zwei Boten aus London eingetroffen. Sie haben schreckliche Nachrichten mitgebracht. Euer Gatte ist tot.«
Eine lange Zeit des Schweigens folgte der Mitteilung. Keimet rang die Hände, während er darauf wartete, daß sie die Botschaft begriff. Aber seine Herrin zeigte keine äußerliche Reaktion, und er begann anzunehmen, daß sie die Nachricht nicht verstanden hatte.
»Es ist wahr, M’lady. Baron Raulf ist tot«, wiederholte er mit einem rauhen Flüstern.
Und immer noch konnte er keine Reaktion bemerken. Der Priester und der Verwalter warfen sich einen betroffenen Blick zu und sahen dann wieder Lady Johanna an.
Plötzlich schimmerten Tränen in ihren Augen. Fast hätte Vater MacKechnie einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Sie hatte verstanden.
Nun wartete er auf die Verweigerung, denn in all den Jahren, und es waren viele, in denen er den Geschlagenen Trost spenden mußte, hatte er gelernt, daß die meisten Menschen sich zuerst weigerten, die Tatsachen zu akzeptieren.
Ihre Verweigerung kam schnell und heftig: »Nein!« schrie sie. Sie schüttelte so vehement den Kopf, daß ihr Zopf über ihre Schulter flog. »Ich will diese Lüge nicht hören. Niemals!«
»Keimet hat die Wahrheit gesprochen«, sagte Vater MacKechnie mit tröstend tiefer Stimme.
Sie schüttelte wieder den Kopf. »Das muß eine üble Intrige sein. Keimet, du mußt die Wahrheit herausfinden. Wer hat dir eine solche Lüge erzählt?«
Der Priester ging schnell einen Schritt auf die junge Frau zu und wollte einen Arm um sie legen. Der Kummer in ihrer Stimme rührte selbst ihn zu Tränen.
Doch sie wollte seinen Trost nicht. Sie wich zurück, verschränkte die Hände ineinander und fragte: »Ist das eine grausame Intrige?«
»Nay, M’lady«, erwiderte Keimet. »König John selbst hat die Botschaft gesandt. Es gab einen Zeugen. Baron Raulf ist tot.«
»Gott sei seiner Seele gnädig«, intonierte der Priester.
Lady Johanna brach in Tränen aus. Beide Männer hasteten auf sie zu, doch sie wies ihr Mitgefühl erneut ab, indem sie weiter zurückwich. Die Männer hielten unsicher an
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