Die Stasi Lebt
Story endet mit dem Verdikt: Die Schwere des Verbrechens erfordere die härteste Strafe, die Todesstrafe.
Vierzig Jahre nach der Hinrichtung die Suche nach Muraus Tochter Gitti. Das Urteil gegen H. und T. reflektiert ihren Part an einem Dutzend Stellen. Die in Heftern der VEB Organisations-Technik Eisenberg gehüteten Stasi-Schriftstücke konkretisieren ihren Anteil bei der Staatsaktion noch krasser. Lauter blutige Topsecret-Papiere, in denen die Erregung über den geglückten Menschenraub von West nach Ost nachhallt. Originalton: »Die IM ›Honett‹ hat sich während des gesamten Einsatzes als eine klug handelnde, standhafte und politisch verantwortungsbewusste Genossin erwiesen.« Geständnisgleich der auf einem anderen Blatt stehende Vermerk von Major Wiegmann, »Leiter des Referates 3«, über die unter KS 25/26 erfasste »Patriotin«: »1954 wurde sie in einen operativ bedeutsamen Vorgang in Richtung Operationsgebiet (gemeint: BRD) einbezogen, wo sie bei der
Liquidierung
eines gefährlichen Feindes eine entscheidende Arbeit geleistet hat.« Interne Kladden rühmen »Mut und Tapferkeit«, besingen an anderer Stelle die »aktive Mitarbeit«.
Die heute 62-Jährige schien wie vom Erdboden verschwunden. Stattdessen finden wir in Berlin die nunmehrige Brigitte Schubert, seit 9. Juli 79 in zweiter Ehe mit Albert Schubert verheiratet – unterm Tarnnamen »Schwartz« führte er sie in Sachen »Lump«. Kann eine Romanze schäbiger beginnen? Muraus Ende ist ihrer Beziehung eingeschnitzt wie anderen Liebenden das Herz in die Rinde eines Baumes. Verhängnisvolle Leidenschaft hieße so etwas in schlechten Filmen.
MfS-Kollege Eichler, »HA Kader und Schulung«, verdichtet am 13. November 71 den gespenstischen Umriss ihrer beider Geschichte in anerkennendem Tonfall fürs Protokoll: »Genosse Oberst Schubert … führte aus, dass er im Auftrag des Genossen Generalleutnant Beater im Jahr 1955 mit der Genossin Cullmanninoffiziell zusammengearbeitet habe und mit ihrer aktiven Hilfe ihr Vater als Verräter seiner gerechten Strafe zugeführt werden konnte.« Im Verschleppungsjahr erhält er gemäß Befehl 121 und 220 je »1000.– M. Prämie«. Kopfgeld? Der Vorschlag zur Auszeichnung mit dem »Vaterländischen Verdienstorden« in Bronze (rechts unten von Mielke in gefälliger Handschrift paraphiert) lobt 61 im beliebten Pathos: »Genosse Schubert hat an einer Reihe von operativen Vorgängen persönlich gearbeitet, wobei solche gefährlichen Feinde festgenommen wurden, die die
Höchststrafe
erhielten.« Auf Deutsch: Rübe ab. Vorgesetzte nennen ihn »kühn, ohne die Wachsamkeit zu verletzen«. Berliner Ermittler sehen in ihm heute »den für die Verschleppung Verantwortlichen«.
Ein Hochhaus in Berlin-Hellersdorf. Verspieltes, ovales Namensschild an der Doppeltür im zwölften Stock. Von innen sperrt ein schwerer Riegel, als müsse die Abschottung das gemeinsame Geheimnis verschließen: die Paarung von zwei Zentralfiguren der Operation »Lump«, die gleichsam über Muraus Leiche ging. Auf das Läuten kommt die Tochter des Geköpften an die Tür. Blick durch den Spion. Brigitte Schubert, geschiedene Cullmann, geborene Murau, erklärt: »Mein Mann ist nicht zu Hause.« Neulich sei im Fernsehen gewesen, man solle Fremden nicht aufmachen. Auf den Hinweis, es gehe um die Hinrichtung ihres Vaters und die Frage, ob sie sich an ihre Tour zu ihm nach Heubach anno 55 erinnere, eine hörbare Schrecksekunde – die Vergangenheit hat sie eingeholt. Danach: »Es wird viel Unsinn geschrieben. Das ist sehr lange her.« Minutenlang hallt die geisterhafte Unterhaltung über die Lebenden und den Toten durch den Flur. Aus Furcht vor Nachbarsohren macht sie auf.
Frau Schubert tritt aus der Wohnung: »Sie können ruhig sehen, wie ich heute aussehe.« Jüngst sei sie in Kur gewesen. Gitti trägtein Medaillon mit flötenspielendem Turbanträger. Die modische Brille farblich passend zur Bluse mit floralem Muster. Nicht ohne Eitelkeit bemerkt sie: »Bekannte sagen, ich habe mich gegenüber früher kaum verändert.« Sie gibt 15 Minuten für das Gespräch.
Eintritt beim Generalmajor a. D. Besuch vom Klassenfeind war in keiner Wahrscheinlichkeitsrechnung des 73-jährigen Tschekisten vorgesehen. Er kommt, Hosen nicht ganz korrekt geschlossen, im weißen Sporthemd aus dem Bad. Ein grauer Greis mit der aus der Fasson geratenen Figur des Büromenschen, selbst schlurfend bedrohlich, ohne jedes Interesse an einem angenehmen Eindruck. Die Frau wünscht, dass
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