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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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Gedächtnislücken auch als Mittel, den Alptraum vom Schädel im Auffangkorb der Guillotine zu bannen, der zur Mitgift ihres Ehebundes zählt. Vielleicht braucht es die nach außen demonstrierte Härte als Selbstschutz, damit ihnen der peinigende Schatten des Murau nicht die Gegenwart zerstört.
    Ein erfolgloser Versuch. Die nie verjährenden Bilder flackerten auf. Chaos in der Seele eingedenk des Enthaupteten. Scham, Erschrecken vor dem eigenen Spiegelbild (und was abseits derjuristischen Schuldfrage an menschlicher Regung sonst noch auf der Empfindungsskala steht) fraßen sich fest im Gemüt. Die mit Gittis Rekrutierung unterstellte Unfähigkeit zu trauern kehrte sich inwendig gegen die Tochter, manifestierte sich in Krankheit. Fürsorglich rubrizieren MfS-Aufzeichnungen Krisensymptome und Verstörung: »Auf Grund der mit ihrem operativen Einsatz verbundenen starken physischen und psychischen Belastung, zum Teil auch bedingt durch die gegnerische Pressekampagne war ihr Gesundheitszustand lange Zeit sehr angegriffen.« Ferner: »Die IM ›Honett‹ befand sich auch über einen längeren Zeitraum stationär in ärztlicher Betreuung.« Von »Weinkrämpfen« ist die Rede.
    Im gutsituierten Gehege des Generalmajors wahrte Muraus Kind den Schein, fürchtete immer den Sturz in die Wahrheit. Sie stand unter 2 P Js 81/57 im BRD-Fahndungsbuch, bangte sehr um den Sohn, der als Sportler in der BRD starten sollte, sprach deshalb alarmiert beim SSD vor. Schwer durchschaubar, warum »Honett« und »Schwartz« nach diesem Horrortrip füreinander entbrannten. Vielleicht mussten sie sich finden, weil die Last der archaischen Geschichte allein nicht zu ertragen war. Was auch immer für Kräfte in der Allianz zum Zug kamen, nichts ist intimer, als die Nachtseite im anderen zu kennen.
    Schubert unterbricht bellend das Gespräch. »Ich weiß nicht, was das hier soll.« Die Wut kocht in ihm. »Aufbrausendes Wesen« ist der einzige Makel seiner sonst 1-a-Zeugnisse. Er poltert: »Kümmern Sie sich besser um die vom Westen erschossenen Vopos.« Wieder bittet Brigitte den Choleriker um Ruhe. Begütigend: »Er hat eine Bypass-Operation hinter sich. Er darf sich nicht aufregen. Ich mache mir Sorgen.« Eine Demonstration von Mitleid, während es um beider Anteil an der Auslieferung Muraus an den Henker geht.
    Die Unterhaltung über die Operation »Lump« dauert schließlich eine gute Stunde. Es fällt kein Wort des Bedauerns. Ja doch, am Grab in Tolkewitz zeigt sich Frau Schubert interessiert. »Dass er dort liegt, wusste ich nicht.« Ferner: Geld habe sie für den Einsatz nicht bekommen, lediglich Fahrkosten habe man ihr ersetzt. Tatsächlich sind Zahlungen für sie erst ab 1. Oktober 78 belegt, 4000 Mark insgesamt. Umso mysteriöser, warum sie wie verhext agierte: Die Honoraranweisung stammt übrigens von Schubert, liest sich wie Nadelgeld für seine Zukünftige. Zwei Tage nach der Heirat, am 11. Juni 79, schloss ihre Stasi-Akte in miserablem Stil: »Auf Grund familiärer Veränderungen des IM machte sich notwendig, die Zusammenarbeit zu beenden.« Am Anfang und am Ende ihrer trübseligen Spitzelkarriere steht die Signatur des Mannes, der ihr Schicksal ist – Schubert: Mit jeder Beförderung setzt er seinen Namen theatralischer.
    Brigitte Schubert, eine deutsch-deutsche Karriere. Am 6. Mai 1934 in Graudenz geboren. Volksschule in Wismar. Lehre im Friseursalon Jesse. 1951 laut Gauck-Behörde erste MfS-Tätigkeit: »Zur Abdeckung Landesbehörde der VP Schwerin.« Dann wieder Haareschneiden, Kinderkriegen, Qualifizierung zum Buchhalter mit »sehr gut«, Weiterbildung zum Finanzfacharbeiter. Von 1962 bis 74 Zivilbedienstete der Volksarmee in Strausberg, »FDGB-Vertrauensmann«. Dann scheidet die Mutter zweier Kinder aus. Der SSD attestiert der Fleißigen, sie sei geachtet, parteiverbunden, klassenbewusst, verschwiegen. Kurz: die ideale Genossin an »Schwartz’« Seite. Auffallend, dass sie sich nach der unglücklichen Jugend an starke Figuren kettet: 18-jährig die Ehe mit Cullmann, eine Art Flucht. Ihr Zweiter, Albert, ebenfalls eine uniformierte Beschützerfigur. Stramme Kerle, gemessen an Murau, der mit dem Leben nicht klarkam. Der elf Jahre ältere Ersatzvater Schubert, aufgeputzt mit goldnemStern, lieh ihr seine Autorität, als er oben war; ein Mannsbild wie des Teufels General.
    Dank des guten Firmen-Archivs ist der Gatte nach 35 Stasi-Jahren ein offenes Buch: Ein markiger Veteran, überhäuft mit 31 Orden, Nadeln, Medaillen, edlen und

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