Die Stasi Lebt
konstruktiven Bündnispolitik der SED würdig« erweisen. Längst hatte der Dr. oec. da den Vaterländischen Verdienstorden in Gold für Außerordentliches beim »Aufb au und der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft « kassiert. Zum Sechzigsten, 1985, durft e der »Held der Arbeit«auf den einträglichen Marx-Orden hoffen. Aber stattdessen kam als ranghöchster Gratulant Willi Stoph. Der Hobbygärtner plauschte – handgestoppt – 1,15 Stunden mit dem geschmeichelten Jubilar.
47 Jahre alt ist Reichelt, als er am 9. März 1972 ins neue Amt als Minister für Umwelt und Wasserwirtschaft eintritt. Kein glücklicher Beginn, da schon die Gründung des Hauses eher propagandistischen Zwecken diente. Von wegen Biotop: Ausgegrenzt von der Internationalen Umweltkonferenz in Stockholm, setzt die SED im Jahre eins nach Honeckers Machtübernahme ihren eigenen Impuls. Seht her, so hieß wohl die Botschaft der an Minderwertigkeitskomplexen krankenden DDR, hier zeigt sich das bessere Deutschland, ein Vorposten des Fortschritts, ökologisch Spitze.
Die Fixierung auf den Rest der Welt ist der Kern der Blindheit für das eigene Land. Zu Hause null Gestaltungskraft, immer nur Appendix »ökonomischer Strategie«, ist Hans Reichelt auf diplomatischem Parkett mit doppeltem Fleiß präsent. In London Treffen mit Frau Th atcher. In Rom Diskussion mit Senatspräsident Fanfani. In München Audienz bei Strauß. Bonn, Helsinki, Kuwait, Sofia, Wien, überall bemüht sich der Alibi-Minister – auch so eine Wessi-Erfindung, die ihn sofort in Rage versetzt –, die DDR salonfähig zu machen. Siebzig internationale Vereinbarungen bringt der Botschaft er des guten Willens heim – ein erdumspannendes Wortgeklingel, während im Arbeiter-und-Bauern-Staat gift gelbe Schwaden die versprochene Morgenröte verhüllen.
Gute Miene zum bösen Spiel (und bis zur Selbstverleugnung) machte da ein Kommunist, der in seinem Leben wenig mehr kannte als die Welt der Nomenklatura: Zwar lässt die SED das Aushängeschild Reichelt subtil spüren, dass er als DBD-Mitglied nicht ganz zum innersten Kreis gehört. Nie darf er mit seinenGästen das »Palais Unter den Linden« nutzen; was ihn wurmt. Indes ist der Draht zu Honecker kurz genug, dass er ihn direkt anrufen kann. Etwa in den frühen achtziger Jahren, als eine Delegation der Grünen am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße verbotenerweise mit dem Rad zum Gespräch mit Reichelt einfahren will. Honecker bescheidet den echauffierten Minister souverän »Lass se fahren«.
Honeckers Vertrauen gilt einem streng katholisch erzogenen Arbeitersohn, der 1949 aus fünfj ähriger sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurückkam. Dort hatte man ihn in eine Antifa-Schule gesteckt. Dann steht er in der zerbombten Berliner Fried-richstraße, einen Holzkoffer, seine einzige Habe, in der Hand. Nach dem Verlust von Elternhaus und schlesischer Heimat findet das frühere NSDAP-Mitglied Nestwärme in der Bauernpartei. Eine Gründung altgedienter Kommunisten, um die mythische Gestalt des Landmanns an die Seite der heroischen Arbeiterklasse zu zwingen. Bauernfänger Reichelt vorneweg. 1950 sitzt er schon in der Volkskammer. Strebsam absolviert der Aufsteiger die Zentralschule für Landwirtschaft des ZK, will sich und anderen beweisen, »dass ein Mensch aus einfachen Verhältnissen etwas werden kann«. Die Sturm-und-Drang-Zeit sieht Reichelt, bis 1960, als Matador des »sozialistischen Frühlings«, der mit der Parole »Bildet eine LPG« das Land überschwemmt. Der Agrarminister ackert in der ersten Reihe bei der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft. 1972 promoviert er noch an der Berliner Hochschule für Ökonomie, einer Kaderschmiede, über
Rolle und Stellung des Meliorationswesens bei der Intensivie-rung der landwirtschaft lichen Produktion …;
Signatur 77 HB 41 11 in der Bibliothek der Humboldt-Universität. Ein nur für DDRler zugängliches 250-Seiten-Werk: Sein Kindertraum: Lehrer an einer Hochschule.
Ehe seine Wunschbiographie mit dem Suizid der Ehefrau in eine persönliche Katastrophe mündet, hört man den treuen Gefolgsmann das Herrscherlob für den »lieben Freund Erich Honecker« predigen. Reichelt bleibt beim respektvollen »Sie« für den Älteren, lässt sich selbst aber gerne duzen; ein Gefühl von Nähe zum glorifizierten Übervater, der ihn durchaus respektvoll »Genosse Hans« nennt. Wenn alles weiter seinen sozialistischen Trott gegangen wäre, hätten die Illusionisten 1992 beim Umweltgipfel in Rio über
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