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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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alle Widersprüche hinweg gemeinsam Harmonie demonstriert. Anschließend wollte Reichelt ehrenvoll aussteigen.
    Hans Reichelt in der Nahsicht enger Mitarbeiter: fleißig, zielstrebig, pflichtbewusst, streng, konsequent, mit Liebe zum Detail. So schildern sie ihren Patron, der sich von den Vorzimmerdamen gern die Stimmung im Hause schildern ließ. Doch was für ein Menschenbild entfalten die abgegriffenen Muster, außer dass sie auf einen autoritären Charakter verweisen? Oh ja, er regierte mit Zuckerbrot und Peitsche. Rührend konnte er sich um private Sorgen seiner Leute kümmern. Dann wieder ließ er mächtige Wut an ihnen ab, ehe er sich gekränkt in seinem Büro verkroch, weil das »hohe Haus«, das ZK, sein Amt zu reinem Dekor erniedrigt hatte.
    Reichelt, ein Agronom, der das Hoch des industriellen Planes sang und nicht das der Natur. Dazu die Beengung des Amtes durch Honeckers Betonköpfe, die weder Devisen zum Kauf von Messgeräten herausrückten noch einen »wasserwirtschaft lichen Entwicklungsplan« sehen wollten (der acht Jahre durch den Amtskosmos irrte) – der Schiffb auerdamm 15 blieb ein Hort erstickter Hoffnung, wie ihn Kafk a hätte erfinden können: eine dem Geheimhaltungsfimmel verfallene Mangelverwaltung, die eine Baumschutzverordnung erließ, gleichzeitig das »Waldsterben«verleugnete. Nur 16 Computerterminals, System Robotron, verzeichnet die Inventur, dafür 75 Stahl- und Panzerschränke, einer in Reichelts Teakholz-Sideboard versteckt.
    Handverlesene Autoren fummelten streng abgeschottet in der Kolpiner Schule für Zivilverteidigung am »Jahresbericht«; letzte Hand ans Manuskript legte Hans Reichelt mit seiner gefürchteten Schrift selber an. Dann wanderte das Dossier CR I/47-7/88 – Geheimhaltungskategorie:
Vor dem Lesen zu vernichten!
– zu Bedenkenträger Mittag. Der wollte nichts wissen von dunkeldrohenden Katastrophen im Land und war sicher, dass sein Erich, für den im Jagdgrund Schorfh eide ein Stück privater Natur reserviert war, Grün für rasch vergehende Politmode hielt. Ebenso konspirativ dichtete Reichelts Crew nächtens vertrauliche »Urteile und Wertungen« für »die Spitze«, sobald »im Rohr«, im Westfernsehen, abends ein Film über die desolate DDR-Umwelt lief. In dem Vakuum, das sein stummes Haus produzierte, sprachen die heillosen Zustände für sich. Und gegen Reichelt.
    Der Schwerblütige war nicht der Titan, die Fesseln von Ideologie und Amt zu sprengen. Als Kommunist zuletzt vielleicht nicht mehr ganz der große Gesinnungsstreber, jedoch in durchaus gepflegten Feindbildern befangen, was den bösen Kapitalismus betraf. Typisch für den lebenslangen Multifunktionär, dass in seinen Persönlichkeitsbildern Hinweise auf Kreativität und Phantasie fehlen; die Berufskrankheit eines Apparatschiks, der sich immer nur in Gremien tummelte. Entsprechend mangelt es seinen statischen Reden an Hinwendung zur Schönheit von Tieren und Pflanzen. Es bleibt bei lahmen Floskeln, zu Triumphen aufgebauschten schmalen Siegen und bis heute bei der ehernen Durchhalteparole, mit der Reichelt die eigene Verlorenheit bekämpft: »In der Gesamtbilanz ist die Belastung vermindert worden!« Er muss den Sozialismus sehr geliebt haben, wie sonsthätte er trotz Ärger, Erniedrigung, ja geheimer Verachtung durch das ZK, beharrlich zum Trugbild beigetragen, statt sich mit Grausen zu wenden. Wer ihm wohlwill, sagt, die eigentliche Tragik des Politikers sei die verzweifelte Hoffnung auf Besserung gewesen.
    Eine gespaltene Persönlichkeit, dieser Reichelt? Im Amt, wie Ohrenzeugen berichten, des Hinterherhechelns und Durchwurstelns oft überdrüssig. Innerlich resigniert, trotzte der Krisen verwalter dem Außendruck (den Körper zum Schutzwall aufgepumpt), weil er sich privat schadlos hielt: ein ambitionierter Th eaterbesucher mit verfeinertem Geschmack, zu Hause umgeben von siebentausend Büchern, als Intellektueller weit in die schöne Welt der Literatur entrückt. In der Doppelexistenz des zwischen Sein und Bewusstsein Zerrissenen, ähnelt auch ein Minister nur dem folgsamen deutschen Untertan, Täter und Opfer zugleich, schuldlos schuldig in braver Ein- und Unterordnung. Warum der Mann, der zu viel wusste, den bedrückenden Kreislauf nicht wenigstens für sich gesprengt hat, nachdem jede Analyse die Tristesse mehrte? Ob die wattierte (Schein-)Welt der Nomenklatura mit 3700 Mark Gehalt, Chauffeur Max, Citroën BX 19, grenzenlosem Reisen, von so überwältigender Anziehungskraft war, dass er die

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